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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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paar Schritte auf sie zu und wollte sie zur Begrüßung umarmen. Dann sah ich ihre Miene, und der bestürzte Ausdruck war unübersehbar. Sie schraubte den Deckel auf ihren Füller und stand langsam auf.
    Meine Arme sanken herab. Ich sagte: »Caroline, was ist das bloß für ein Unsinn? Ich hatte eine ganz fürchterliche Nacht. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.«
    Sie runzelte beunruhigt, fast mitleidig die Stirn.
    »Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Du brauchst auch nicht mehr hierherzukommen.«
    »Nicht mehr hierherkommen? Bist du verrückt? Wie soll ich denn nicht mehr hierherkommen, wo ich doch weiß, in was für einem Zustand du bist!«
    »Aber ich bin in keinem ›Zustand‹!«
    »Es ist erst einen Monat her, dass deine Mutter gestorben ist. Du bist in Trauer. Du stehst unter Schock! Diese Dinge, die du angeblich tun willst, deine Entscheidungen Hundreds betreffend und Rod betreffend – die wirst du später bereuen! Ich habe so etwas schon erlebt … Mein Liebling …«
    »Bitte nenne mich nicht mehr so!«, sagte sie.
    Sie sagte es halb flehentlich, aber zugleich mit einem gewissen Tadel, als hätte ich ein Schimpfwort in den Mund genommen. Ich hatte noch ein paar Schritte auf sie zu gemacht, hielt jedoch wieder inne. Nach kurzem Schweigen veränderte ich meinen Tonfall und sprach drängender.
    »Caroline, hör mal zu. Ich verstehe ja, wenn dir plötzlich Zweifel gekommen sind. Du und ich, wir sind schließlich keine unbeschwerten Teenager mehr. Eine Heirat ist ein gewaltiger Schritt für uns. Auch ich habe mich letzte Woche in eine Art Panik gesteigert, genau wie du jetzt. David Graham musste mich erst mit einem Whisky beruhigen. Ich denke, wenn du dich einfach ein wenig beruhigen würdest …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin so ruhig wie schon seit Monaten nicht mehr. Von dem Augenblick an, als ich einwilligte, dich zu heiraten, habe ich schon gespürt, dass es nicht richtig wäre, und gestern Abend habe ich mich zum ersten Mal seit langem wieder wohl in meiner Haut gefühlt. Es tut mir so leid, dass ich dir gegenüber nicht schon von Anfang an ehrlich gewesen bin – und auch mir selbst gegenüber nicht.«
    Ihr Tonfall klang jetzt weniger tadelnd als vielmehr kühl und unnahbar. Sie trug ihre übliche hausbackene Kleidung, eine ausgefranste Strickjacke und einen gestopften Rock, und hatte das Haar mit einem schwarzen Band zurückgebunden, doch wirkte sie nichtsdestotrotz auf seltsame Art attraktiv und beherrscht und strahlte eine Entschlossenheit aus, wie ich sie seit Wochen nicht an ihr gesehen hatte. Die Zuversicht, die ich am Morgen empfunden hatte, begann sich aufzulösen, und gleich dahinter lauerten wieder die Angst und Demütigung der letzten Nacht. Zum ersten Mal blickte ich mich richtig um. Das Zimmer erschien mir plötzlich verändert, irgendwie aufgeräumter und anonymer. Im Kamin lag ein Haufen Asche, als hätte sie Papiere verbrannt. Mein Blick fiel auf den Sprung in der Fensterscheibe, und ich erinnerte mich voll Scham an die Dinge, die ich am Vortag zu ihr gesagt hatte. Dann bemerkte ich, dass sie auf einem der niedrigen Tische die Schachteln ordentlich aufgestapelt hatte: die Schachtel mit dem Kleid, die mit den Blumen und das Chagrinlederkästchen.
    Sie folgte meinem Blick, trat zu dem Stapel und hob ihn hoch.
    »Du musst das zurücknehmen«, sagte sie leise.
    »Sei nicht albern«, erwiderte ich, »Was soll ich denn damit noch anfangen?«
    »Du könntest sie wieder in den Laden zurückbringen.«
    »Und dastehen wie der letzte Idiot? Nein, ich möchte, dass du die Sachen behältst, Caroline. Du sollst sie bei unserer Hochzeit tragen.«
    Darauf antwortete sie nicht, doch hielt mir weiter die Schachteln hin, bis ihr klar wurde, dass ich sie einfach nicht nehmen würde. Also stellte sie die beiden Kartons wieder ab, behielt jedoch das Chagrinlederkästchen in der Hand.
    »Den musst du aber wirklich nehmen«, sagte sie mit fester Stimme. »Wenn du ihn jetzt nicht nimmst, dann werde ich ihn dir per Post nachschicken. Ich habe den Ring auf der Terrasse gefunden. Er ist wunderschön. Ich hoffe … Ich hoffe, dass du ihn eines Tages einer anderen geben kannst.«
    Ich schnaubte entrüstet. »Ich habe ihn extra für dich anpassen lassen! Verstehst du nicht? Es wird niemand anderen geben!«
    Sie hielt mir das Kästchen hin. »Nimm ihn. Bitte.«
    Widerstrebend nahm ich ihr das Kästchen aus der Hand. Doch während ich es in meine Tasche steckte, sagte ich in einem letzten

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