Der Besucher - Roman
Stühle niederließ.
»Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden«, begann ich. »Ich nehme an, Sie wissen, warum ich hier bin.«
Er war noch damit beschäftigt, sich die Zigarette anzuzünden, und nickte unverbindlich.
»Es geht um Caroline und Hundreds«, sagte ich.
Er klappte sein Feuerzeug zu. »Ihnen ist doch sicher klar, dass ich unmöglich die finanziellen Angelegenheiten der Familie mit Ihnen diskutieren kann.«
»Ist Ihnen bewusst, dass ich kurz davor stand, ein Mitglied der Familie zu werden?«, erwiderte ich.
»Ja, das habe ich gehört.«
»Caroline hat die Hochzeit abgesagt.«
»Das tut mir leid.«
»Aber das wussten Sie natürlich schon. Tatsächlich haben Sie es wohl schon eher als ich erfahren. Und Sie wissen vermutlich auch, was sie mit dem Haus und dem Landgut vorhat. Sie sagt, Roderick habe eine Art Vollmacht ausgestellt. Stimmt das?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich darf darüber nicht sprechen, Faraday.«
Ich sagte: »Sie dürfen nicht zulassen, dass sie das tut. Roderick ist krank, aber keinesfalls so krank, dass man ihm einfach sein Eigentum unter der Nase wegreißen kann! Das wäre unmoralisch!«
Er erwiderte: »Natürlich würde ich in einem solchen Fall nicht handeln, ohne vorher ein ordentliches medizinisches Gutachten eingeholt zu haben.«
»Himmel noch mal!«, rief ich. »Ich bin sein Arzt! Und wo wir schon mal dabei sind: Ich bin auch Carolines Arzt!«
»Mäßigen Sie bitte Ihre Stimme, guter Mann!«, sagte er scharf. »Sie selbst haben doch ein Papier unterzeichnet, mit dem Sie Roderick der Obhut von Dr. Warren anvertraut haben. Ich habe es mir genau zeigen lassen. Warren ist überzeugt, dass der arme Junge keinesfalls geschäftsfähig ist und es wohl auch auf absehbare Zeit nicht sein wird. Ich gebe hier nur wieder, was Warren Ihnen auch selbst erzählen würde, wenn er hier wäre.«
»Nun, dann sollte ich vielleicht mal mit Warren reden!«
»Reden Sie ruhig mit ihm. Aber ich beziehe meine Weisungen nicht von ihm, sondern von Caroline.«
Seine Uneinsichtigkeit brachte mich zur Verzweiflung. »Sie müssen doch selbst eine Meinung dazu haben«, drängte ich. »Ihre ganz persönliche Meinung! Sie müssen doch selbst sehen, wie töricht das Ganze ist.«
Er betrachtete seine Zigarettenspitze. »Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich das so töricht finden soll. Natürlich ist es schade für die Gegend, wieder eine der alteingesessenen Familien zu verlieren. Doch das Haus bricht Caroline über dem Kopf zusammen. Der ganze Besitz braucht eine professionelle Leitung. Wie soll sie das schaffen? Im Übrigen ist das Haus für sie doch nur noch mit traurigen Erinnerungen verbunden. Ohne Eltern, ohne ihren Bruder, ohne Ehemann …«
»Aber ich sollte doch ihr Ehemann werden …!«
»Zu diesem Thema steht mir nun wirklich keine Meinung zu … Tut mir leid, aber ich sehe nicht, was ich für Sie tun kann.«
»Sie können dafür sorgen, dass dieser verrückte Plan nicht weiter vorangetrieben wird, bis Caroline wieder Vernunft angenommen hat. Sie haben gerade über die Krankheit ihres Bruders geredet, aber ist es nicht offensichtlich? Caroline selbst ist auch weit davon entfernt, gesund zu sein.«
»Meinen Sie? Auf mich wirkte sie sehr gesund, als ich sie das letzte Mal gesehen habe.«
»Ich rede auch nicht von einer körperlichen Krankheit. Ich meine ihre Nerven, ihren psychischen Zustand! Ich denke an alles, was sie in den letzten Monaten erleben musste. Diese Belastungen beeinträchtigen ihre Urteilsfähigkeit.«
Er wirkte verlegen, aber auch ein wenig belustigt.
»Mein lieber Faraday«, sagte er. »Würde ich jedes Mal, wenn ein Kerl sitzen gelassen wird, gleich versuchen wollen, die betreffende Dame für verrückt erklären zu lassen …«
Er spreizte abwiegelnd die Finger und hielt im Satz inne. An seinem Gesichtsausdruck konnte ich ablesen, wie sehr ich mich gerade zum Narren machte, und einen Moment lang spürte ich die absolute Hoffnungslosigkeit meiner Lage. Doch diese Erkenntnis war zu hart, als dass ich sie ertragen konnte. Stattdessen sagte ich mir voll Bitterkeit, dass ich bloß meine Zeit mit ihm verschwendete, dass er mich ohnehin nie gemocht hatte, dass ich eben nicht zu seiner Seilschaft gehörte. Ich erhob mich und drückte meine Zigarette in einem Aschenbecher aus – einem klobigen Zinngefäß mit Fuchsjagdmotiv.
»Ich will Sie nicht länger von Ihrer Familie fernhalten«, sagte ich. »Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.«
Er erhob sich
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