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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Bauernhöfe sind schmutzig, doch dieser war besonders dreckig; Schlamm und Jauche waren von Hufen aufgewühlt worden und dann während des langen, trockenen Sommers in Hügeln und Furchen festgebacken. Der Melkschuppen erwies sich als alter, halb verfallener Holzbau, in dem es nach Dung und Ammoniak stank und so heiß war wie in einem gläsernen Treibhaus. Es gab keine Melkmaschinen, nur Hocker und Eimer, und in den ersten beiden Boxen fanden wir den Bauern, Makins, und seinen erwachsenen Sohn, die sich jeder an einer Kuh abmühten. Makins war erst vor ein paar Jahren in die Gegend gezogen, doch ich kannte ihn vom Sehen, ein hagerer, geplagt wirkender Mann von Anfang fünfzig; das Ebenbild eines hart arbeitenden Milchbauern. Caroline rief ihm eine Begrüßung zu, und er nickte herüber, während er mich mit schwacher Neugier musterte. Wir gingen weiter und trafen zu meiner Überraschung in der nächsten Box auf Roderick. Ich hatte gedacht, dass er irgendwo im Bauernhaus oder auf einem anderen Teil des Gehöfts beschäftigt wäre, doch hier hockte er und melkte genau wie die anderen, das Gesicht rot vor Hitze und Anstrengung, die langen schlanken Beine angewinkelt und die Stirn gegen die braune, staubige Flanke der Kuh gelehnt.
    Er blickte auf und blinzelte, als er mich sah. Offenbar war er nicht besonders erfreut, dass ich ihn bei einer solchen Arbeit antraf, doch er bemühte sich erfolgreich, seine Gefühle zu verbergen, und rief mir lässig, jedoch ohne ein Lächeln zu: »Ich hoffe, Sie verzeihen, wenn ich nicht aufstehe und Ihnen die Hand gebe!« Er blickte seine Schwester an. »Alles in Ordnung?«
    »Alles in Ordnung«, erwiderte sie. »Dr. Faraday wollte bloß kurz mit dir reden.«
    »Ja, gut, ich bin hier gleich fertig. Jetzt beruhig dich mal, du dummes Viech!«
    Seine Kuh hatte sich beim Klang unserer Stimmen unruhig hin und her bewegt. Caroline zog mich zurück.
    »Bei Fremden werden sie immer ganz scheu. Mich kennen sie aber. Haben Sie was dagegen, wenn ich kurz helfe?«
    »Aber nein, natürlich nicht«, sagte ich.
    Sie zog sich ein paar Gummistiefel und eine schmutzig aussehende Drillichschürze über und schob sich in den Pferch. Mühelos bewegte sie sich zwischen den wartenden Tieren hin und her und führte dann eine Kuh in den Melkschuppen, in die Box neben der ihres Bruders. Da sie schon kurzärmlig gekleidet war, musste sie die Ärmel nicht mehr aufrollen, doch sie wusch sich die Hände an einem freistehenden Wasserhahn und reinigte sie mit einem Desinfektionsmittel; dann holte sie einen Schemel und einen Zinkeimer, stellte beides neben der Kuh ab, gab dieser einen Schubs mit dem Ellbogen, um sie in die richtige Position zu bringen, und machte sich an die Arbeit. Ich hörte, wie der Milchstrahl lautstark in den leeren Eimer prasselte, und sah die zügigen, rhythmischen Bewegungen ihrer Arme. Als ich einen Schritt zur Seite trat, konnte ich gerade noch unter dem breitem Hinterteil der Kuh ihre Hände aufblitzen sehen, wie sie an dem blassen, unglaublich elastisch aussehenden Euter zogen.
    Sie war mit dieser ersten Kuh fertig und hatte mit der nächsten begonnen, ehe Roderick mit seiner fertig war. Er führte das Tier aus dem Schuppen, leerte seinen Eimer mit dampfender Milch in einen blank geschrubbten Stahlbottich und kam dann zu mir herüber. Er wischte sich die Finger an der Schürze ab und hob energisch das Kinn.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    Ich wollte ihn nicht lange von seiner Arbeit abhalten, deshalb erzählte ich ihm in wenigen Worten, was ich vorhatte, wobei ich alles so formulierte, als ob ich ihn um einen Gefallen bat und er mir bei einer ziemlich wichtigen wissenschaftlichen Untersuchung helfen würde. Mein Plan klang allerdings weit weniger überzeugend, als er gerade noch im Auto geklungen hatte, und Roderick hörte ihn sich mit sehr zweifelndem Gesichtsausdruck an, vor allem, als ich beschrieb, dass das Gerät elektrisch betrieben würde. »Leider haben wir gar nicht genügend Brennstoff, um unseren Generator tagsüber laufen zu lassen«, sagte er und schüttelte den Kopf, als sei das Thema damit ein für alle Mal erledigt. Doch ich versicherte ihm, dass die Spule mit ihren eigenen Trockenzellen laufen würde. Caroline beobachtete uns, und nachdem sie eine weitere Kuh gemolken hatte, kam sie zu uns herüber und unterstützte mich mit ihren Argumenten. Roderick blickte währenddessen besorgt zu den unruhig stampfenden Kühen hinüber, und ich glaube, am Ende stimmte er dem Vorhaben

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