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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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bloß zu, um uns endlich zum Schweigen zu bringen. Dann hinkte er rasch wieder zum Pferch hinüber, um ein weiteres Tier zu holen, und schließlich war es Caroline, die einen Termin mit mir ausmachte, an dem ich vorbeikommen sollte.
    »Ich sorge dafür, dass er dann auch da ist«, murmelte sie mir zu. »Machen Sie sich keine Sorgen.« Und dann fügte sie noch hinzu, als sei ihr der Gedanke gerade erst gekommen: »Kommen Sie doch so, dass Sie wieder zum Tee bleiben können, das wäre schön. Ich weiß, dass Mutter sich darüber sehr freuen würde.«
    »Ja«, erwiderte ich erfreut. »Ich komme gern. Vielen Dank, Miss Ayres.«
    Bei dieser Anrede setzte sie einen gespielt gepeinigten Gesichtsausdruck auf. »Ach, nennen Sie mich doch bitte Caroline. Ich habe später noch so viele Jahre vor mir, in denen ich die vertrocknete Miss Ayres sein kann … Aber ich nenne Sie trotzdem weiterhin Doktor, wenn ich darf. Irgendwie durchbricht man doch nicht gern diese professionelle Distanz.«
    Lächelnd reichte sie mir ihre warme, nach Milch riechende Hand, und wir schüttelten einander die Hände wie zwei Bauern, die einen Kuhhandel besiegeln.
     
    Wir hatten den Termin für den folgenden Sonntag ausgemacht; wieder ein sehr warmer Tag, wie sich herausstellte. Alles schien wie ausgedörrt, und der Himmel war schwer und dunstig vom Getreidestaub. Die quadratische rote Vorderseite des Hauses wirkte beim Näherkommen blass und seltsam unwirklich, und erst als ich auf dem Kies fuhr, schien sie deutlich ins Blickfeld zu rücken: Wieder sah ich die vielen verwitterten Einzelheiten, und mehr noch als bei meinem ersten Besuch hatte ich das Gefühl, dass sich das Haus in einer Art Schwebezustand befand. Man konnte schmerzhaft deutlich das prächtige Gebäude sehen, das es einmal gewesen war, und erahnte gleichzeitig die Ruine, die es bald sein würde.
    Diesmal hatte Roderick wohl schon nach mir Ausschau gehalten. Die Vordertür wurde quietschend aufgeschoben, und er wartete am oberen Ende der rissigen Treppe auf mich, während ich aus dem Auto stieg. Als ich mit meiner Arzttasche in der einen Hand und dem Holzkasten mit der Induktionsspule in der anderen näherkam, runzelte er die Stirn.
    »Ist das das Gerät, was Sie meinten? Ich hatte mir etwas viel Größeres vorgestellt! Das ist ja kaum größer als eine Brotdose!«
    »Es ist sehr viel leistungsfähiger, als man meinen würde«, erwiderte ich.
    »Na, wenn Sie das sagen … Kommen Sie, ich führe Sie in mein Zimmer.«
    Seinem Tonfall nach bedauerte er offenbar schon, dass er sich überhaupt auf die ganze Sache eingelassen hatte. Doch er wandte sich um und ließ mich ins Haus. Diesmal führte er mich rechts von der Treppe durch einen weiteren kühlen, dunklen Korridor. Er öffnete die letzte der Türen und sagte: »Tut mir leid, hier ist es ein wenig unaufgeräumt.«
    Ich folgte ihm in den Raum und stellte Tasche und Gerät ab, dann blickte ich mich überrascht um. Als er von »seinem Zimmer« gesprochen hatte, hatte ich mir natürlich ein ganz normales Schlafzimmer vorgestellt, doch dieser Raum war riesig – oder wenigstens kam er mir zu jenem Zeitpunkt riesig vor, denn ich war noch nicht an die Ausmaße von Hundreds Hall gewöhnt. Er hatte holzvertäfelte Wände, eine Stuckdecke mit Gitterwerk und einen breiten steinernen Kamin mit einer Umrandung im neogotischen Stil.
    »Das war früher mal ein Billardzimmer«, erklärte Roderick, als er meinen Gesichtsausdruck sah. »Mein Urgroßvater hat den Raum so ausgestattet. Er hat sich anscheinend für eine Art Baron gehalten. Aber der ganze Billardkram ist schon vor Jahren abhandengekommen, und als ich von der Air Force nach Hause zurückkam – oder besser gesagt, aus dem Krankenhaus –, da dauerte es eine ganze Weile, bis ich wieder Treppen steigen konnte. Da hatten meine Mutter und meine Schwester die Idee, hier drinnen ein Bett für mich aufzustellen. Ich habe mich inzwischen so daran gewöhnt, dass es irgendwie nie der Mühe wert schien, wieder nach oben zu ziehen. Hier drinnen erledige ich auch meine Arbeit.«
    »Ja«, erwiderte ich, »das sehe ich.«
    Es war dasselbe Zimmer, das ich im Juli von der Terrasse aus gesehen hatte. Das Durcheinander schien sogar noch größer zu sein im Vergleich zu damals, als ich nur einen kurzen Blick hatte hineinwerfen können. Die eine Ecke des Zimmers war einem äußerst unbequem aussehenden Bett mit Eisengestell vorbehalten, daneben standen ein Toilettentisch sowie ein antiker Waschtisch mit Spiegel.

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