Der Besucher - Roman
das Bündel mit den Brombeeren zu und machte sich auf die Suche nach dem Hund. Ich sah, wie sie die Brombeerranken beiseiteschob und sich, ganz offensichtlich ohne Angst vor Spinnen oder Dornen, in die Hecke beugte, wobei ihr braunes Haar wieder an den Ranken hängen blieb. Sie rief und suchte und brauchte ein bisschen Zeit, bis sie den Hund wiedergefunden hatte, und als dieser endlich hochzufrieden, mit offenem Maul und heraushängender Zunge zum Auto zurücktrottete, fiel mir mein Patient wieder ein, und ich sagte, ich müsse mich auf den Weg machen.
»Gut, aber dann nehmen Sie wenigstens ein paar Beeren mit«, sagte sie gutgelaunt, während ich den Motor wieder anließ. Doch als ich sah, wie sie mir die Beeren abfüllen wollte, kam mir in den Sinn, dass ich ohnehin in die Richtung von Hundreds Hall fahren musste, und da es bis dorthin noch eine Strecke von zwei oder drei Meilen war, bot ich ihr an, sie mitzunehmen. Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ihr mein Angebot recht wäre; immerhin schien sie sich hier auf der staubigen Landstraße recht wohl zu fühlen, ähnlich wie ein Landstreicher oder eine Zigeunerin. Sie schien auch zunächst tatsächlich zu zögern, doch hatte sie sich meinen Vorschlag wohl nur reiflich durch den Kopf gehen lassen. Nach einem Blick auf ihre Armbanduhr sagte sie schließlich: »Ja, das wäre schön. Und wenn Sie mich vielleicht an der Straße zu unserer Farm absetzen könnten, wäre ich ihnen noch dankbarer. Mein Bruder ist gerade dort. Eigentlich wollte ich ihm die Arbeit allein überlassen. Doch ich glaube, die werden sich über jede Hilfe freuen, das tun sie eigentlich immer.«
Ich erwiderte, dass ich sie gern mitnehmen würde. Ich machte die Beifahrertür auf, um Gyp auf den Rücksitz zu lassen, und nachdem er sich ein paarmal aufgeregt um sich selbst gedreht und dann seinen endgültigen Platz eingenommen hatte, klappte sie den Vordersitz wieder zurück und stieg neben mir ein.
Als sie sich niederließ, knarrte das Auto ein wenig und neigte sich leicht, und ich wünschte mir plötzlich, dass es nicht gar so klein und alt wäre. Es schien sie jedoch nicht zu stören. Sie legte sich den Ranzen flach über die Knie, stellte das Bündel mit den Brombeeren darauf und seufzte zufrieden, offensichtlich dankbar, dass sie sich setzen konnte. Sie trug ihre jungenhaft flachen Sandalen, und ihre bloßen Beine waren immer noch unrasiert; jedes der winzigen Härchen war, wie ich bemerkte, mit Staub überzogen – wie eine künstlich geschwärzte Wimper.
Als ich losgefahren war, bot sie mir noch eine Brombeere an, doch diesmal schüttelte ich den Kopf, denn ich wollte ihr nicht ihre ganze Ernte wegessen. Nachdem sie sich selbst eine genommen hatte, erkundigte ich mich nach ihrer Mutter und ihrem Bruder.
»Mutter geht es gut«, erwiderte sie und schluckte die Beere hinunter. »Danke der Nachfrage. Sie hat sich neulich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen. Sie weiß immer gern Bescheid über die Nachbarschaft. Wir kommen so viel weniger unter Leute als früher, und da das Haus ein wenig heruntergekommen ist, schämt sie sich und lädt nur selten Besuch ein. Deshalb fühlt sie sich auch ein wenig von der Welt abgeschnitten. Und Roddie – ja, dem geht’s eigentlich wie immer. Er arbeitet zu viel und isst zu wenig … Sein Bein macht ihm ziemliche Probleme.«
»Ja, darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht.«
»Ich weiß nicht, wie stark es ihn wirklich behindert. Ziemlich stark, vermute ich. Er sagt, er hat keine Zeit, es richtig behandeln zu lassen. Was er wohl eigentlich meint, ist jedoch, dass wir das Geld nicht haben.«
Das war das zweite Mal, dass sie über Geld gesprochen hatte, doch diesmal war keine Spur von Klage in ihrer Stimme, sie sprach ganz nüchtern, als stelle sie bloß eine Tatsache fest. Während ich vor einer Kurve herunterschaltete, sagte ich: »Steht es wirklich so schlimm?« Und als sie mir nicht gleich antwortete, fügte ich hinzu: »Ist es Ihnen unangenehm, wenn ich frage?«
»Nein, es ist mir nicht unangenehm. Ich habe bloß überlegt, was ich antworten soll. Um ehrlich zu sein, steht es ziemlich schlimm. Ich weiß nicht genau, wie schlimm, weil Rod die ganze Buchhaltung allein erledigt, und er ist ziemlich verschlossen. Er sagt bloß immer, dass er es schon schaffen wird. Wir bemühen uns beide, das meiste vor Mutter zu verbergen, doch selbst ihr muss klar sein, dass es auf Hundreds nie wieder so sein wird wie früher. Die Farm liefert inzwischen mehr oder
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