Der Besucher - Roman
sie vor Staub zu schützen, und offenbar fehlten auch einige Möbelstücke. Sie griff in einen Vitrinenschrank und holte vorsichtig ein paar Bücher heraus, von denen sie sagte, dass sie zu den wertvollsten des Hauses gehörten, doch ich konnte sehen, dass die Bibliothek nicht mehr das war, was sie einmal gewesen war, und es gab nicht viel, für das es sich zu bleiben lohnte. Sie trat zum Kamin und spähte den Schacht hinauf, besorgt über einen Rußklumpen, der herabgefallen war; dann schloss sie die Fensterläden wieder und führte mich in das angrenzende Zimmer – das ehemalige Büro des Herrenhauses, das sie schon erwähnte hatte, holzgetäfelt wie Rodericks Zimmer und mit ähnlichen neogotischen Elementen versehen. Als Nächstes folgte die Tür zum Zimmer ihres Bruders, und gleich dahinter lag der Bogen mit dem Vorhang, durch den man ins Untergeschoss gelangte. Wir passierten beides, und Caroline zeigte mir die »Stiefelkammer«, einen muffig riechenden, kleinen Raum, vollgestopft mit Regenmänteln, alten Gummistiefeln, Tennis- und Krocketschlägern. Früher, als die Familie noch eigene Pferdestallungen besaß, hatte er als eine Art Umkleidekammer gedient. Eine Tür führte von dieser Kammer in eine urige, mit Delfter Kacheln geflieste Toilette, die, wie Caroline sagte, seit mehr als einem Jahrhundert das »Herrenhäuschen« genannt wurde.
Sie schnipste wieder mit den Fingern nach Gyp, und wir gingen weiter.
»Finden Sie es nicht langweilig?«, fragte sie.
»Nein, keineswegs.«
»Gebe ich denn einen guten Fremdenführer ab?«
»Sie sind ein großartiger Führer!«
»Aber jetzt … Ach, du liebe Güte, jetzt kommt eine der Stellen, über die Sie besser hinwegschauen sollten. Und jetzt lachen Sie auch noch über uns! Das ist aber nicht nett!«
Ich musste ihr erklären, warum ich lächelte: Der Fries, den sie meinte, war ebenjener, von dem ich vor so vielen Jahren die Stuckeichel gebrochen hatte. Ich erzählte ihr die Geschichte nur widerstrebend, da ich keine Ahnung hatte, wie sie darauf reagieren würde. Doch sie riss in kindlicher Begeisterung die Augen auf.
»Ach, aber das ist doch zu lustig! Und Mutter hat Ihnen tatsächlich eine Gedenkmünze überreicht? So wie Queen Alexandra? Ich frage mich, ob sie sich noch daran erinnern kann.«
»Bitte erwähnen Sie das ihr gegenüber lieber nicht«, sagte ich. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich nicht mehr an mich erinnern kann. Ich war bloß einer von ungefähr fünfzig ungezogenen Jungs mit schmutzigen Knien.«
»Aber schon damals hat Ihnen das Haus gefallen?«
»Anscheinend genug, um es mutwillig zu beschädigen.«
»Na ja«, sagte sie begütigend. »Ich kann Ihnen kaum einen Vorwurf daraus machen, dass Sie diese albernen Stuckverzierungen kaputtmachen wollten. Die schrien doch förmlich danach, abgerissen zu werden! Und ich fürchte, das, was Sie damals angefangen haben, haben Roddie und ich in gemeinsamer Arbeit vollendet … Aber ist das nicht komisch? Sie kannten Hundreds schon, ehe er und ich da waren!«
»Ja, tatsächlich«, sagte ich, denn dieser Gedanke war mir auch erst gerade richtig bewusst geworden.
Wir ließen den beschädigten Stuckfries hinter uns und setzten unseren Rundgang fort. Sie lenkte meine Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Porträts, düstere Ölgemälde in schweren Goldrahmen. Und wie bei einer dieser typisch amerikanischen Filmkulissen handelte es sich tatsächlich um die »Ahnengalerie«, wie sie es nannte.
»Keines der Bilder ist besonders gut oder wertvoll, fürchte ich«, sagte sie. »Die wertvollen sind schon alle verkauft worden, zusammen mit unseren besten Möbeln. Aber sie sind lustig anzuschauen, wenn Sie in dem schlechten Licht überhaupt etwas erkennen können.«
Sie deutete auf das erste. »Das hier ist William Barber Ayres. Er hat Hundreds Hall bauen lassen. Ein wackerer Landedelmann wie alle Ayres, aber anscheinend zahlte er nicht gern. Wir haben Briefe, in denen sich der Architekt über ausstehende Zahlungen bei ihm beklagt und mehr oder weniger androht, er werde bald seine Eintreiber vorbeischicken … Als Nächstes kommt Matthew Ayres. Er hat Soldaten nach Boston geführt und kehrte mit Schimpf und Schande zurück, mit einer amerikanischen Ehefrau, und drei Monate später starb er auch schon. Wir machen immer Scherze, dass sie ihn vergiftet hat … Das hier ist Ralph Billington Ayres, Matthews Neffe – der Spieler der Familie. Er hat eine Zeit lang noch ein zweites Landgut in Norfolk besessen, und
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