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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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genau wie diese Lebemänner in den Romanen von Georgette Heyer hat er das ganze Anwesen bei einem einzigen Kartenspiel verloren … Und das ist Catherine Ayres, seine Schwiegertochter und meine Urgroßmutter. Sie war die Erbin eines irischen Rennpferdestalls und hat das Familienvermögen wieder aufgebessert. Es hieß allerdings, dass sie sich selbst nie in die Nähe eines Pferdes gewagt hat, aus Angst, sie könne es mit ihrem Anblick verschrecken. Ziemlich offensichtlich, von wem ich mein Aussehen geerbt habe, finden Sie nicht?«
    Sie lachte, während sie das sagte, denn die Frau auf dem Gemälde war auffallend hässlich. Doch Caroline ähnelte ihr tatsächlich ein wenig – obwohl es mir einen kleinen Schock versetzte, mir das einzugestehen, denn inzwischen hatte ich mich an ihre unharmonischen, maskulinen Züge ebenso gewöhnt wie an Rodericks Narben. Ich murmelte einen halbherzigen Einwand, doch sie hatte sich schon weiterbewegt. Sie habe noch zwei weitere Räume, sagte sie, die sie mir zeigen wolle, wolle sich aber »das Beste bis zum Schluss« aufsparen. Schon das nächste Zimmer, das sie mir präsentierte, fand ich durchaus eindrucksvoll: ein Esszimmer im Chinoiserie-Stil mit einer blassen, handgemalten Tapete und einem polierten Esstisch, auf dem zwei Ormoulu-Kandelaber mit geschwungenen Armen standen. Doch dann führte sie mich wieder zurück in den Korridor, öffnete eine weitere Tür und ließ mich gleich hinter der Schwelle warten, während sie den dunklen Raum durchquerte, um die Läden an einem der Fenster zu öffnen.
    Dieser Korridor verlief in Nord-Süd-Richtung, so dass alle Räume, die von ihm abgingen, nach Westen zeigten. Es war ein heller Nachmittag, einzelne, messerscharfe Lichtstreifen fielen durch die Lücken in den Läden, und schon als sie die Verriegelung öffnete, sah ich, dass wir uns in einem beeindruckend großen Raum befanden, in dem etliche mit Laken abgedeckte Möbel standen. Doch als sie die knarrenden Läden zurückklappte und die Einzelheiten um mich herum zum Leben erwachten, war ich so überrascht, dass ich auflachte.
    Wir standen in einem achteckigen Saal, der von einer Seite bis zur anderen gut zwölf Meter maß. Die Wände waren mit einer lebhaft gelben Tapete dekoriert, auf dem Boden lag ein grünlich gemusterter Teppich; der Kamin war aus makellos weißem Marmor, und von der Mitte der reich verzierten Stuckdecke hing ein riesiger Kristalllüster herab.
    »Ziemlich verrückt, nicht wahr?«, meinte Caroline und lachte ebenfalls.
    »Einfach unglaublich«, erwiderte ich. »Damit rechnet man gar nicht, wenn man den Rest des Hauses sieht … Dort ist doch alles vergleichsweise nüchtern.«
    »Na ja, vermutlich wäre der ursprüngliche Architekt in Tränen ausgebrochen, wenn er das hätte ahnen können. Ralph Billington Ayres – Sie erinnern sich: der Tunichtgut der Familie – hat diesen Salon in den 1820 er Jahren nachträglich einbauen lassen, als er noch einen Großteil seines Geldes besaß. Offensichtlich waren damals alle ganz verrückt auf Gelb, keine Ahnung, warum. Jedenfalls ist es noch die Originaltapete, deshalb haben wir sie auch hängen lassen. Aber wie Sie sehen können«, sie deutete auf mehrere Stellen, an denen sich die alte Tapete von den Wänden löste, »will sie partout nicht hängen bleiben. Leider kann ich Ihnen den Kronleuchter nicht in seiner ganzen Pracht zeigen, da der Generator abgeschaltet ist. Wenn er an ist, macht er einiges her! Es ist immer noch der ursprüngliche Leuchter, doch meine Eltern haben ihn gleich nach ihrer Hochzeit elektrisch umrüsten lassen. Damals haben sie noch jede Menge Gesellschaften veranstaltet, da war das Haus noch prächtig genug. Der Teppich ist natürlich in Bahnen verlegt. Man kann sie zur Seite rollen, wenn getanzt werden soll.«
    Sie wies mich noch auf ein paar andere Besonderheiten hin und hob die Laken hoch, um mir die zierlichen Regency-Stühle, Schränkchen oder Sofas zu zeigen, die sich darunter verbargen.
    »Was ist das denn?«, erkundigte ich mich angesichts eines unförmigen abgedeckten Möbelstücks, das ich nicht zuordnen konnte. »Ein Klavier?«
    Sie hob eine Ecke der gesteppten Abdeckung. »Ein flämisches Cembalo, noch älter als dieses Haus. Können Sie spielen?«
    »Guter Gott, nein!«
    »Ich auch nicht. Schade eigentlich. Das arme Ding, man sollte darauf spielen.«
    Doch sie sprach ohne viel Gefühl, strich mit der Hand sachlich prüfend über das reich verzierte Gehäuse, ließ dann die Decke wieder

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