Der Besucher - Roman
Geld und harter Arbeit. Und wenn man die da « – sie nickte zu der Reihe düsterer Porträts hinüber – »im Nacken spürt, wie sie einem zuschauen, kann es einem schon wie eine schreckliche Last vorkommen … Für Rod ist es am schlimmsten, denn auf ihm lastet noch zusätzlich die Verantwortung, der Herr im Haus zu sein. Er will die Leute nicht enttäuschen, verstehen Sie.«
Ich merkte, dass sie die Kunst beherrschte, das Gespräch immer wieder von sich abzulenken. »Ich bin sicher, Ihr Bruder tut, was er kann«, sagte ich. »Und Sie auch.« Doch meine Worte gingen in den schnellen, durchdringenden Schlägen einer Uhr unter, die uns wissen ließ, dass es vier war. Caroline berührte meinen Arm, und ihre Miene hellte sich wieder auf.
»Kommen Sie. Meine Mutter wartet. Vergessen Sie nicht, dass der Kurzrundgang auch Erfrischungen beinhaltet.«
Also gingen wir den Korridor entlang, bis wir auf den nächsten trafen, und betraten dann den kleinen Salon.
Mrs. Ayres war an ihrem Sekretär gerade damit beschäftigt, Klebstoff auf ein winziges Stück Papier aufzutragen, und schaute beinahe schuldbewusst empor, als wir näher kamen, obwohl ich mir gar nicht vorstellen konnte, wieso. Doch dann entdeckte ich, dass es sich bei dem Papierchen um eine nicht abgestempelte Briefmarke handelte, die jedoch offensichtlich schon einmal benutzt worden war.
»Ich fürchte ja, dass das wahrscheinlich nicht ganz legal ist«, sagte Mrs. Ayres, während sie die Briefmarke auf einen Umschlag klebte, »aber schließlich leben wir in gesetzlosen Zeiten. Sie werden mich doch nicht verraten, Dr. Faraday?«
»Ich erwiderte: »Nicht nur das, ich werde sogar noch Beihilfe zu Ihrem Verbrechen leisten. Ich kann den Brief gern nach Lidcote zum Postamt mitnehmen, wenn Sie möchten.«
»Das würden Sie tun? Wie reizend von Ihnen. Die Briefträger sind heutzutage so nachlässig geworden. Vor dem Krieg kam Wills, unser alter Briefträger, immer zweimal am Tag bis zu unserer Haustür. Der Mann, der jetzt die Post austrägt, beklagt sich immer über die weiten Wege. Wir können schon froh sein, wenn er die Post nicht einfach am Ende der Zufahrt liegen lässt.«
Sie durchquerte das Zimmer und gab mir mit einer kleinen, eleganten Geste ihrer ringbesetzten Hand zu verstehen, dass ich ihr zu den Sesseln am Kamin folgen solle. Sie war ganz ähnlich gekleidet wie bei meinem letzten Besuch, trug wieder knittriges dunkles Leinen, einen Seidenschal um den Hals und ein ähnliches Paar dieser irritierenden blank geputzten Schuhe. Sie blickte mich wohlwollend an und sagte: »Caroline hat mir erzählt, was Sie für Roderick tun. Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie sich seiner annehmen. Meinen Sie denn wirklich, dass diese Behandlung eine Besserung herbeiführt?«
»Nun, bisher sieht es ganz gut aus«, erwiderte ich.
»Besser als bloß ›ganz gut‹«, schaltete Caroline sich ein und ließ sich auf das Sofa plumpsen. »Dr. Faraday ist viel zu bescheiden. Es scheint Roderick wirklich sehr zu helfen, Mutter.«
»Aber das ist ja wunderbar! Wissen Sie, Roderick arbeitet immer so furchtbar viel, Herr Doktor … Der arme Junge. Ich fürchte allerdings, er hat nicht das gleiche Händchen für das Gut, wie sein Vater es hatte. Ihm fehlt das richtige Gespür für die Landwirtschaft.«
Vermutlich hatte sie recht. Dennoch erwiderte ich höflich, dass einem wahrscheinlich heutzutage auch das richtige Gespür nicht allzu viel nutzen würde, wenn man berücksichtigte, wie schwer es den Landwirten gemacht wurde, und mit der Bereitwilligkeit zu gefallen, die besonders charmante Menschen auszeichnet, erwiderte sie sofort: »Ja, zweifellos haben Sie recht. Vermutlich kennen Sie sich in diesen Dingen sehr viel besser aus als ich … Ich nehme an, Caroline hat Sie schon im Haus herumgeführt?«
»Ja, das hat sie.«
»Und gefällt es Ihnen?«
»Sehr sogar.«
»Das freut mich. Natürlich ist es nur noch ein Schatten von dem, was es einmal war. Aber andererseits – so sagen meine Kinder mir jedenfalls immer – können wir uns glücklich schätzen, dass wir es überhaupt behalten konnten … Ich finde ja immer, die Häuser aus dem achtzehnten Jahrhundert sind die schönsten. So ein kultiviertes Jahrhundert! Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, war ein scheußlicher viktorianischer Bau. Heute hat man ein katholisches Mädcheninternat darin untergebracht, und – offen gesagt – können die Nonnen es von mir aus gerne haben. Obwohl mir natürlich manchmal die armen kleinen
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