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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Erfolg zeigen möge. Ich sagte: »Gehen Sie noch mal hin und her, und ich schaue es mir an … Ja, Sie bewegen sich zweifellos sehr viel freier. Jetzt dürfen Sie es bloß nicht übertreiben. Für den Anfang ist es gut, aber wir müssen die Dinge langsam angehen lassen. Jetzt müssen Sie erst mal den Muskel warm halten. Sie haben doch bestimmt irgendetwas zum Einreiben?«
    Er blickte sich zweifelnd im Zimmer um. »Ich glaube, die haben mir irgendeine Salbe mitgegeben, als sie mich nach Hause geschickt haben.«
    »Lassen Sie’s gut sein. Ich gebe Ihnen ein neues Mittel.«
    »Oh, nein. Sie haben sich schon genug Mühe gemacht.«
    »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, Sie sind es, der mir einen Gefallen tut.«
    »Na dann …«
    Da ich damit gerechnet hatte, dass er sich zieren würde, hatte ich in weiser Voraussicht eine Flasche in meiner Tasche mitgebracht. Er nahm sie entgegen und betrachtete das Etikett, während ich begann, das Gerät wieder einzupacken. Als ich gerade die Mullkompressen wegräumte, klopfte es an der Tür. Ich fuhr leicht zusammen, da ich vorher gar keine Schritte gehört hatte. Das Zimmer hatte zwar die beiden großen Fenster, aber durch die Holzvertäfelung der Wände wirkte der Raum so gedämmt, als sei man auf dem Unterdeck eines Ozeandampfers. Roderick rief »herein«, die Tür wurde geöffnet, und sofort drängte Gyp sich herein und trottete auf mich zu. Hinter ihm folgte etwas zögerlicher Caroline. Heute trug sie eine Aertex-Bluse, die sie nachlässig in den Bund eines unförmigen Baumwollrocks gesteckt hatte.
    »Und, bist du schon durchgegart, Roddie?«, erkundigte sie sich.
    »Ziemlich durchgebraten«, erwiderte er.
    »Und das ist das Gerät? Meine Güte, das sieht ja aus wie aus Doktor Frankensteins Labor!«
    Sie sah mir dabei zu, wie ich den Apparat wieder in seinen Kasten räumte, dann betrachtete sie ihren Bruder, der gedankenverloren das Bein beugte und streckte. An seiner Haltung und seinem Gesichtsausdruck konnte sie wohl ablesen, welche Erleichterung ihm die Behandlung verschafft hatte, denn sie schenkte mir einen dankbaren Blick, der mich beinahe mehr freute als der Erfolg der Therapie selbst. Doch dann wandte sie sich plötzlich wieder ab, als sei sie peinlich berührt von ihren eigenen Gefühlen, hob einen Zettel vom Boden auf und beklagte sich in heiterem Tonfall über Rodericks Unordnung.
    »Wenn es doch bloß irgendeine Maschine gäbe, um die Zimmer in Ordnung zu halten!«, sagte sie.
    Roderick hatte die Flasche mit dem Einreibemittel geöffnet und hielt sie sich prüfend unter die Nase.
    »Ich dachte, so eine hätten wir schon. Sie heißt Betty. Oder wofür bezahlen wir sie sonst?«
    »Hören Sie nicht auf ihn, Doktor. Er lässt die arme Betty gar nicht erst hier herein!«
    »Leider kann ich sie gar nicht davon abhalten, hier hereinzukommen«, sagte er. »Und ständig rückt sie Dinge herum, räumt sie irgendwohin, wo ich sie nicht wiederfinde, und behauptet dann, sie hätte nie etwas angefasst.«
    Er sprach geistesabwesend, denn seine ganze Aufmerksamkeit wurde längst wieder von dem Schreibtisch angezogen; er hatte die Flasche beiseitegestellt und das Bein vergessen. Er schlug den Deckel einer eselsohrigen Aktenmappe auf, und während er stirnrunzelnd deren Inhalt betrachtete, griff er ganz automatisch nach Zigarettenpapier und Tabak, um sich eine Zigarette zu drehen.
    Caroline warf ihm einen besorgten Blick zu.
    »Ich wünschte, du würdest diese schrecklichen Dinger drangeben!«, sagte sie. Sie trat an die eichengetäfelte Wand und fuhr mit der Hand über die Holzpaneele. »Schau dir bloß mal diese Paneele an! Der Rauch macht sie ganz kaputt. Sie müssten dringend mal gewachst oder geölt werden.«
    »Ach, überall im Haus müsste dringend irgendwas gemacht werden«, meinte Roderick lakonisch und gähnte. »Wenn du mal eine Idee hast, wie man mit nichts ›irgendwas‹ machen kann – ohne Geld, meine ich –, dann tu dir keinen Zwang an! Außerdem …«, hier hob er den Kopf, warf mir einen Blick zu und bemühte sich erneut um heitere Ungezwungenheit, »außerdem ist es doch wohl oberste Mannespflicht, in diesem Raum zu rauchen, finden Sie nicht auch, Dr. Faraday?«
    Er deutete zu der Stuckdecke empor, deren elfenbeinernen Farbton ich dem Alter zugeschrieben hatte, die aber, wie ich nun erkannte, von etwa einem halben Jahrhundert zigarrenrauchender Billardspieler in einem unregelmäßigen Nikotingelb gefleckt war.
    Gleich darauf wandte er sich wieder seinen Papieren zu.

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