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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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fallen und trat an das Fenster mit den geöffneten Läden. Ich folgte ihr und stellte fest, dass es sich tatsächlich um ein paar schmale, hohe Glastüren handelte. Genau wie die Terrassentüren in Rodericks Zimmer und im kleinen Salon führten sie über eine freitragende Steintreppe auf die Terrasse hinaus. Diese Treppe war in sich zusammengebrochen, die oberste Stufe hing immer noch an der Schwelle, der Rest jedoch lag einen guten Meter tiefer in Trümmern auf dem Kies, dunkelgrün und verwittert, als hätten die Steine dort schon einige Zeit gelegen. Gänzlich unbeeindruckt davon öffnete Caroline die Tür, und wir standen am Rande des kleinen Abgrunds in der warmen, duftenden Sommerluft und blickten über die weitläufige Grasfläche auf der Westseite des Hauses. Der Rasen musste früher einmal ordentlich gestutzt und eben gewesen sein, vielleicht hatte man dort Krocket gespielt. Jetzt störten zahllose Maulwurfshügel und Disteln das Bild, und an manchen Stellen stand das Gras kniehoch. Die einzelnen, verstreuten Büsche rings um den Rasen wurden allmählich von Blutbuchen verdrängt, die zwar in ihrer Färbung hübsch anzusehen waren, aber außer Kontrolle zu geraten drohten, und die beiden riesigen, nicht beschnittenen Englischen Ulmen weiter hinten würden den ganzen Bereich in ihren Schatten tauchen, wenn die Sonne erst mal tiefer gesunken war.
    Weiter zur Rechten befand sich eine Ansammlung von Nebengebäuden, die Garage und leere, ungenutzte Ställe. Über der Tür zu den Stallungen hing eine große weiße Uhr, die offenbar stehen geblieben war.
    »Zwanzig vor neun«, stellte ich mit einem Blick auf die Zeiger fest und lächelte.
    Caroline nickte. »Roddie und ich haben sie so eingestellt, als die Uhr kaputtging.« Und als sie meinen fragenden Blick sah, erklärte sie: »Um zwanzig vor neun sind Miss Havishams Uhren in Große Erwartungen stehen geblieben. Damals fanden wir unsere Idee unheimlich komisch. Heute kommt sie uns nicht mehr ganz so komisch vor, muss ich zugeben … Hinter den Stallungen liegen die ehemaligen Gärten, die Küchengärten und so weiter.«
    Ich konnte gerade noch die Mauer zum Küchengarten sehen. Sie war aus dem gleichen unregelmäßig hellroten Backstein wie das Haus; ein Torbogen gab den Blick frei auf aschebestreute Wege, überwucherte Beete und einen Baum, der von weitem nach einer Quitte oder Mispel aussah. Da ich Mauergärten mag, sagte ich ohne nachzudenken, dass ich mir die Gärten gerne einmal anschauen würde.
    Caroline warf einen Blick auf ihre Uhr und sagte unternehmungslustig: »Wir haben noch fast zehn Minuten Zeit. Am schnellsten geht es gleich hier runter.«
    »Hier runter?«
    Sie stützte sich mit der Hand am Türrahmen ab, beugte sich vorwärts und ging in die Knie. »Ja, runterspringen, meine ich!«
    Ich zog sie zurück. »Aber nein! Für solche Sachen bin ich zu alt. Zeigen Sie mir den Garten lieber ein andermal, einverstanden?«
    »Wirklich?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Na gut.«
    Sie schien meine Entscheidung zu bedauern. Ich vermute, unser Rundgang hatte sie unruhig gemacht, oder vielleicht zeigte sich darin auch nur ihre Jugend. Sie blieb noch einen Moment an meiner Seite, ging dann aber wieder durch das Zimmer, um sich zu vergewissern, ob die Möbel auch richtig abgedeckt waren, und hob an ein oder zwei Stellen die Teppichränder an, um nach Silberfischen oder Motten Ausschau zu halten.
    »Lebewohl, du armer vergessener Saal!«, sagte sie, nachdem sie das Fenster geschlossen und die Läden wieder vorgeklappt hatte und wir uns wieder, halb blind vom Licht, in den dunklen Korridor begeben hatten. Seufzend drehte sie den Schlüssel im Schloss herum, und wie um sie zu trösten, sagte ich: »Ich bin so froh, dass ich mir das Haus anschauen durfte. Es ist wunderhübsch.«
    »Finden Sie?«
    »Sie etwa nicht?«
    »Ach, wahrscheinlich ist es gar kein so übles Gemäuer.«
    Ausnahmsweise einmal ging mir ihr fröhlicher Schulmädchentonfall auf die Nerven. Ich sagte: »Ach, seien Sie doch mal ernst, Caroline.«
    Zum ersten Mal hatte ich sie bei ihrem Vornamen genannt, und vielleicht machte sie diese Tatsache, zusammen mit meinem leicht tadelnden Tonfall, befangen. Sie errötete wieder auf diese unvorteilhafte Weise, und die aufgesetzte Fröhlichkeit schwand dahin. Sie begegnete meinem Blick und sagte in aufrichtigem Ernst: »Sie haben recht. Hundreds ist wirklich ein wunderschönes Haus. Aber es ist wie eine Art schönes Ungeheuer: Ständig muss es gefüttert werden, mit

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