Der Beutegaenger
haben.«
»Nehmen wir mal an, dieser Einbruch letzten August war tatsächlich ein Einbruch«, sagte Verhoeven. »Was war der Zweck dieser Aktion, wenn nichts gestohlen wurde?«
»Vielleicht ging es darum, sich Informationen zu beschaffen«, schlug Bredeney vor. »Ich meine, alle Opfer waren Mitglied in Marianne Siemssens Studio. Das kann der Mörder eigentlich nur wissen, wenn er dort arbeitet oder über eine Mitgliederliste verfügt, oder?«
»Und damit hätten wir dann auch endlich geklärt, nach welchen Kriterien der Täter die Frauen aussucht«, sagte Winnie Heller. »Unser Mann bricht in das Studio ein und besorgt sich eine Liste der Mitglieder. Aus dieser Liste wählt er seine Opfer aus. Welche Faktoren ausschlaggebend für eine bestimmte Frau sind, wissen wir nicht. Möglicherweise hat er mehrere Frauen ausspioniert und dann diejenigen ausgesucht, bei denen sich die günstigsten Gelegenheiten boten. Oder...«
»Aber wir haben auch eine solche Mitgliederliste«, fiel Verhoeven ihr ins Wort. »Und da steht der Name von Susanne Leistner nicht drauf.«
Winnie Heller legte die Stirn in Falten. »Ich habe da eine Idee.« Sie stand auf. »Bin gleich wieder da.«
»In einem Punkt stimme ich mit ihr überein«, sagte Verhoeven, als sie das Büro verlassen hatte. »Die ermordeten Frauen wurden ausgesucht, weil sie Mitglied bei Fit for Life waren.
Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass die Persönlichkeit der Opfer in diesem Fall nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Und deshalb haben wir auch im persönlichen Umfeld dieser Frauen nie etwas finden können, das uns irgendwie weitergebracht hätte. Wir hatten es nie mit Beziehungstaten im herkömmlichen Sinn zu tun. Wer zum Opfer wird, ist mehr oder weniger Zufall. Entscheidend sind allein das Muster und der Zweck, den der Mörder verfolgt.«
»Wirklich schade, dass der Jugendfreund von der Siemssen als Täter nicht mehr in Betracht kommt«, bemerkte Bredeney im selben Moment, als Winnie Heller zurückkehrte.
»Ich glaube, ich habe die Lösung für unser Problem«, verkündete sie. »Susanne Leistner hat ihre Studiomitgliedschaft gekündigt, als sie mit Amelie schwanger wurde. Wirksam wurde die Kündigung Anfang Oktober 2003.« Sie warf einen Blick auf den Notizzettel in ihrer Hand. »Fit for Life räumt seinen Mitgliedern nach der Kündigung eine Frist von zwei Jahren ein, innerhalb deren sie die Mitgliedschaft zu den alten Bedingungen wieder aufnehmen können, wobei dann keine erneute Aufnahmegebühr mehr anfällt. Zu diesem Zweck bleiben die Daten von Mitgliedern auch nach der Kündigung noch zwei Jahre lang gespeichert, bevor sie endgültig gelöscht werden. In Susanne Leistners Fall lief diese Frist bis Oktober 2005, was bedeutet, dass ihre Daten zum Zeitpunkt des Einbruchs im August 2005 noch nicht gelöscht waren. Die Löschung der Daten erfolgte erst zwei Monate später . ..«
Verhoeven senkte den Blick. »Acht verdammte Wochen«, murmelte er. »Susanne Leistner hatte einfach Pech . . . «
Mittwoch, 22. November 2006
Die Akte mit dem Untersuchungsbericht über Raphael Martins Tod traf am frühen Morgen des nächsten Tages ein. Werneuchen brachte sie in ihr Büro, wo er sie wortlos auf Grovius’ Schreibtisch legte. Zu diesem Zeitpunkt war Winnie Heller bereits seit zwei Stunden im Präsidium. Sie war nur ein paar Stunden zu Hause gewesen. Hatte geduscht. Sich umgezogen. Die Fische gefüttert. Dann war sie zurückgekehrt, hatte sich Kaffee gemacht und das Protokoll von Marianne Siemssens Vernehmung gelesen. Einmal. Zweimal. Nun ein drittes Mal. Sie durfte nicht zulassen, dass der Schock über Ellis Tod ein weiteres Loch in ihre Erinnerung riss. Sie musste dran bleiben. Dran an dem, was gestern gewesen war. Vor der Nachricht. Nach der Nachricht. Es durfte nie wieder eine solche Lücke geben wie damals, nachdem der Psychologe in der Tür von Timo Wendels Zimmer gestanden hatte.
Ihre Augen überflogen das Protokoll in ihrer Hand. Ein Gespräch, auf Papier gebannt. Was war das für eine Frau, der sie gestern dort drüben im Vernehmungszimmer gegenübergesessen hatte? Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte diese Frage nicht beantworten. Es war ihr nicht gelungen, sich ein Bild von Marianne Siemssen zu machen, zumindest keines, das sie zufriedenstellte. Dieser Umstand verunsicherte sie, denn normalerweise verfügte sie über eine gute Menschenkenntnis. Eine glatte Eins in Psychologie, dachte sie mit einem sarkastischen Lächeln. Hatte Marianne
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