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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Schwerverletzten unter den Nacken. Dann hob er den Kopf.
    Marianne Siemssen stand regungslos wenige Schritte entfernt und warf ihm einen Blick zu, den er nicht deuten konnte. »Er hatte ein Messer«, sagte sie ausdruckslos. »Er griff mich damit an . ..«
    Verhoeven betrachtete den blasslila Seidenschal, der fest um Raphael Martins linke Hand geschlungen war, und das Streakmesser, das neben ihm auf dem kiesbedeckten Boden lag. Dann nickte er, zog sein Handy aus der Tasche und rief einen Krankenwagen, wohl wissend, dass die Sanitäter zu spät kommen würden.

Es war später Nachmittag, als Verhoeven das Präsidium verließ. Sie waren nicht fertig, aber er brauchte eine Auszeit. Ein paar Augenblicke ganz für sich allein, die ihm klarmachten, dass es vorbei war. Dass er nicht versagt hatte. Jedenfalls nicht auf ganzer Linie. Er brauchte ein unbeschwertes Lachen. Den Geruch nach Erdbeershampoo und Keksen. Und vielleicht, wenn er lange genug wegblieb, würde sich etwas wie Erleichterung einstellen. Irgendein Gefühl, das die tiefe, allumfassende Leere in seinem Inneren, die sich in den vergangenen Stunden eingestellt hatte, verdrängte und ihm die Kraft gab, weiterzumachen. Gespräche zu führen. Erklärungen zu suchen. Abzuschließen ...
    Er fand seine Tochter in einem mittels ein paar Handtüchern zur Höhle umgebauten Pappkarton in einem der zahlreichen Nebenräume ihrer Tagesstätte, die den Kindern als Rückzugsmöglichkeit dienten. Bei ihr auf dem Boden kniete ein dicker blonder Junge in khakifarbenen Cordhosen. Seine Unterschenkel waren so kurz, dass die Füße kaum unter dem Po hervorlugten.
    »Hallo«, sagte Verhoeven, als Nina ihn bemerkte.
    »Das wird ein Raumschiff«, erklärte sie. »Damit fliegen wir in den Weltraum und finden ganz viel sauberes Wasser.«
    Er fragte nicht, woher sie das wisse. Dass ausreichend sauberes Wasser zu einem Problem werden würde. Stattdessen fragte er: »Ist das Dominik?«
    Beide Kinder nickten. Nina eifrig, Dominik eher verhalten. »Hallo, Dominik.«
    Der Junge hob betont lässig eine Hand. »Hi, Mister Bulle.«
    Sollte wahrscheinlich cool klingen, klang aber albern. Verhoeven lächelte. »Wie hast du mich da eben genannt?«
    Ein Hauch von Röte ergoss sich über die milchzarten Züge, und Verhoeven musste automatisch an Winnie Heller denken. Sie schien ganz gefasst. Führte Gespräche. Suchte Erklärungen.Trotzdem fürchtete er sich davor, sie nach Hause zu schicken, obwohl seit der Nachricht vom Tod ihrer Schwester bereits mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen waren. Eine Nacht, in der nichts passiert war. Ein Morgen danach, an dem sie ganz normal zum Dienst erschienen war. Aber da waren sie mitten in einem Fall gewesen. Beschäftigt. Überforderung ist nicht das schlechteste Mittel gegen den Schmerz, dachte Verhoeven und tastete nach seinem verspannten Nacken.
    »Mister Bulle«, wiederholte Dominik Rieß-Semper zu seinen Füßen derweil tapfer.
    »Ich hab ihm gesagt, dass du einer bist«, schaltete sich Nina ein, die spürte, dass ihr kleiner Kavalier im Begriff war, sich in Schwierigkeiten zu bringen.
    »Ein Bulle?«, fragte Verhoeven amüsiert.
    »Onkel Grovius hat das auch immer gesagt«, verteidigte sich seine Tochter und zuckte leise zusammen, als ihr bewusst wurde, dass sie mit »Onkel Grovius« ein Thema berührt hatte, das ihren Vater vielleicht wieder traurig machte. »Und Winnie«, setzte sie eilig hinzu.
    »Ist das die mit den roten Haaren?«, fragte Dominik neben ihr, und Verhoeven registrierte mit einer Mischung aus Stolz und Neid, dass sich seine Tochter in ihrer Tagesstätte ganz offenbar ausführlicher mitteilte als zu Hause.
    »Genau.« Sie nickte und fügte dann, an ihren Vater gewandt, hinzu: »Kommt sie uns bald mal besuchen?«
    »Ich denke schon«, entgegnete Verhoeven. »Wenn sie Zeit hat.«
    »Ich hab ihr auch ein Bild gemalt«, verkündete Nina stolz. »Warte, ich hol’s.«
    Und weg war sie, davongehüpft in einen anderen Raum.
    Mr. Experimentierkasten-Semper musterte ihn derweil aus kleinen blassblauen Augen. Blonde Brauen. Ein paar vereinzelte Sommersprossen im blütenzarten Teint. Verhoeven ertapptesich bei der Überlegung, wie er aussehen würde, wenn er erwachsen war. »Und? Wie ist das so?«
    »Was?«
    »Ein Bulle sein.«
    »Anstrengend«, entgegnete Verhoeven mit tiefer innerer Überzeugung.
    Der Junge nickte ernsthaft. Sollte wahrscheinlich verständnisvoll wirken, wirkte aber altklug.
    »Ich hab Ihr Vogelhaus gesehen.«
    »Ach ja?« Bei

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