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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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vorläufig.
    Das Gelände wurde immer abschüssiger. Verhoeven versuchte, sich die örtlichen Gegebenheiten in Erinnerung zu rufen, wie sie sich ihnen am Vortag dargestellt hatten. Der See war rund drei Quadratkilometer groß. Bäume und dichtes Buschwerk reichten fast überall bis ans Wasser heran, nur am Südufer gab es einen breiten, kiesbedeckten Strand. Dort hatte die Leiche von Anna-Lena Kluger gelegen.
    Sie verließen den Pfad und liefen in den Wald hinein. Winnie Heller folgte ihm wie ein Schatten. Sie brauchten sich nicht zu verständigen. Sie wussten beide, worauf es ankam. Der Boden war mit einer dicken Laubschicht bedeckt. Verhoevens Schätzung nach mussten sie sich etwa dreihundert Meter westlich der Stelle befinden, an der die Leiche gelegen hatte. Trotz aller Eile bewegten sie sich vorsichtig. Der Hang wurde steiler und steiler. Ringsum herrschte eine geradezugespenstische Stille. Kein Vogellaut, kein Verkehrslärm, nur das Rauschen des Windes in den Bäumen.
    Plötzlich fiel das Gelände vor ihnen fast senkrecht ab. Ein wenig loses Geröll stürzte über den Rand und kollerte die Böschung hinunter, als sie stehen blieben. Wo die Böschung endete, lag der See, eine bleigraue Platte mit vom Wind aufgerauter Oberfläche. Rechts der Kiesstrand. Etwas weiter östlich ragte eine kleine, von hohem Schilf gesäumte Landzunge ins Wasser. Dort stand Marianne Siemssen. Sie hatte aufs Wasser hinausgeblickt und drehte sich in diesem Moment zu der Gestalt um, die hinter ihr aus den Büschen trat ...
     
     
     
    Hallo, Raphael!
    Es war lange her, dass ihn jemand so genannt hatte. Schon vorhin bei ihrem Telefonat hatte er sich erst daran gewöhnen müssen.
    Raphael.
    Das klang irgendwie unwirklich.
    Ein Name aus einer anderen Zeit, einer Zeit, die lange tot war.
    Ihre Augen waren noch von demselben strahlenden Blau wie damals. Dennoch wollte es ihm scheinen, als läge ein Ausdruck in ihnen, den er nie zuvor gesehen hatte.
    Zögernd machte er einen Schritt auf sie zu.

Verhoeven begann zu laufen. Der steile Abhang gab unter seinen Füßen nach. Immer wieder drohte er den Halt zu verlieren. Aber er blieb auf den Beinen. Irgendwie gelang es ihm, auf den Beinen zu bleiben. Nur flüchtig nahm er Zweige wahr, die ihm ins Gesicht schlugen. Winnie Heller war dicht hinter ihm. Die nasskalte Luft traf ihre Lungen wie tausend Nadelstiche. Atemlos erreichten sie den Kiesstrand. Etwa hundert Meter vor ihnen befand sich die Spitze der Landzunge.
    Sie war leer ...
    Knirschend spritzte der Kies unter seinen Sohlen weg, als Verhoeven über den Strand zu dem dichten Gehölzstreifen rannte, der ihn jetzt noch von der Landzunge trennte. Er zerrte seine Dienstwaffe unter der Jacke hervor und entsicherte sie im Laufen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Werneuchen, der in einiger Entfernung den Abhang hinunterkam. Dann verschwand er wieder hinter Bäumen. Um vor ihnen an der Landzunge zu sein, war er zu weit entfernt, was in Verhoeven ein unerwartetes Gefühl der Erleichterung auslöste. Er wollte derjenige sein, der die Sache zu Ende brachte. So oder so. Von jetzt an war er derjenige mit der Erfahrung.
    Ein zurückschnellender Ast verfehlte sein Auge um Haaresbreite. Verhoeven kümmerte sich nicht weiter darum. Vor ihm lag die Landzunge. Der Mann wandte ihm den Rücken zu und verdeckte den Blick auf Marianne Siemssen, von der er nur den Ärmel eines Mantels erkennen konnte. Er hatte dunkles Haar, und sein eher schmächtiger Körper wirkte schlaff und spannungslos. Verhoeven richtete die Waffe auf seinen Rücken.
    »Raphael Martin!«, schrie er. »Polizei!«
    Der Angesprochene drehte sich um. Seine Bewegungen hatten etwas eigenartig Irreales. Verhoeven war sich nicht sicher, was er erwartet hatte, aber das, was er jetzt sah, schienirgendwie nicht stimmig zu sein. Der Mann, der ihnen gegenüberstand, hatte nichts Furchterregendes. Er war zierlich, seine Gesichtszüge fein und von außergewöhnlicher Schönheit. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. In den braunen Augen stand Schmerz und grenzenlose Verwunderung.
    Als er vornüberkippte und zu Boden fiel, wusste Verhoeven sofort, dass es kein Trick war. Trotzdem vergewisserte er sich, dass seine Kollegin mit schussbereiter Waffe hinter ihm war, bevor er zu dem zusammengesunkenen Mann stürzte. Er drehte ihn auf die Seite und riss ihm den Mantel herunter. Die Vorderseite seines Pullovers war blutdurchtränkt. Hastig rollte Verhoeven den Mantel zusammen und schob ihn dem

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