Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
bedroht?«
    Monika Gerling schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, das wüsste ich.«
    Davon bin ich überzeugt!, dachte Verhoeven. »Bekam sie mal irgendwelche Briefe oder Geschenke?«
    Ein hässliches kleines Lachen rollte aus der Kehle der Buchhalterin. »Höchstens hin und wieder mal ein Werbegeschenk von der Pharmaindustrie.«
    »Noch eine letzte Frage.« Verhoeven stand auf und schob seinen Stuhl zurück. »Haben Sie im Zusammenhang mit Frau Leistner jemals von Chrysanthemen gehört?«
    »Chrysanthemen?« Monika Gerlings Verblüffung schien echt zu sein. »Meinen Sie die Blumen?«
    »Ja genau, ich spreche von den Blumen.« Es amüsierte ihn zu beobachten, wie die Buchhalterin zum ersten Mal im Verlauf dieses Gesprächs aus ihrer selbstgefälligen Ruhe gerissenwurde. Er konnte förmlich sehen, wie ihre Gedanken hin und her sprangen. Offenbar bemühte sie sich krampfhaft, einen tieferen Sinn hinter seiner Frage auszumachen.
    »Was in aller Welt haben Chrysanthemen damit zu tun?«
    Verhoeven ließ die Frage unbeantwortet und tauschte einen Blick mit seiner Kollegin. Ihre kleinen Augen unter den hübsch geschwungenen Brauen blitzten belustigt. »Das wäre dann auch zunächst alles«, sagte er und verzichtete bewusst darauf, Monika Gerling zum Abschied die Hand zu reichen. »Wenn wir noch weitere Fragen haben, melden wir uns.«
    Als er sich an der Tür noch einmal kurz umdrehte, bemerkte er, dass Monika Gerling sich ebenfalls von ihrem Stuhl erhoben hatte und ihnen mit weit aufgerissenen Augen nachstarrte.
     
     
     
    Winnie Heller parkte ganz in der Nähe der Stelle, an der Susanne Leistners Wagen gestanden hatte. Lübke hatte den cognacfarbenen Passat in die Tiefgarage seiner Abteilung bringen lassen, um ihn noch einmal genauestens unter die Lupe zu nehmen, doch Winnie Heller hegte starke Zweifel, dass diese Maßnahme ihnen neue Erkenntnisse bescheren würde. Sie hatten mit Susanne Leistners bester Freundin und mit Ursula Hettcamp, der anderen Kollegin, gesprochen. Sie hatten die Nachbarn befragt. Den Pförtner des Altenheims. Und überall hatte man ihnen dasselbe erzählt: Die junge Mutter habe sich nicht gefürchtet. Sie sei nicht verfolgt worden. Und niemand habe ihr jemals Blumen geschickt.
    Winnie Heller bückte sich und zog die Klettverschlüsse ihrer Turnschuhe fest. Dann rannte sie los. Die Sonne war bereits hinter den Hügeln verschwunden. Dennoch hatte derWald gestochen scharfe Konturen. Lediglich die Farben glichen sich allmählich an. Sie war keine geübte Läuferin und musste bereits nach wenigen hundert Metern aus einem unentschlossenen Trab in einen zügigen Spazierschritt wechseln. Nichtsdestotrotz wollte sie den Parcours von Anfang bis Ende bewältigen. So wie das Opfer. So wie Susanne Leistner. Sie war sich nicht sicher, was sie damit zu erreichen hoffte, aber sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass dieser Fall die größte Chance war, die sie jemals bekommen würde. Und sie war entschlossen, diese Chance zu nutzen.
    Ich sollte wieder mal ins Studio gehen, dachte sie, als sie sich schwer atmend die nächste Steigung hinaufkämpfte. Während ihrer Ausbildung hatte sie regelmäßig trainiert. Boxen. Karate. Kraft und Ausdauer. Sie hatte dazugehören wollen. Wieder so sein wie die anderen. Wie normale Menschen. Aber irgendwann hatte sie erkannt, dass sich die Zeit nicht zurückdrehen ließ. Sie war ein Teenager wie jeder andere gewesen. Sie hatte Spaß gehabt. Ein mehr oder minder mühelos errungenes Abitur in der Tasche. Die Aussicht auf eine Ausbildung in ihrem Traumberuf. Ihren ersten Freund. Oh ja, sie war ein vollkommen normaler Teenager gewesen, bis ihre ganz persönliche Katastrophe sie in eine Welt katapultiert hatte, zu der ihre Freunde, oder zumindest die Menschen, die sie für ihre Freunde gehalten hatte, keinen Zugang mehr gefunden hatten. Als ob man von heute auf morgen eine andere Sprache spricht, dachte sie und fragte sich einmal mehr, warum jener fatale Unfall nur sie selbst so sehr verändert hatte. Warum waren ihre Eltern die gleichen geblieben? Derselbe Tennisclub, dieselben Freunde. Alles wie gehabt.
    Sie biss die Zähne zusammen und lief weiter. Den nächsten Abhang hinunter. Vorbei an einem verwitterten Kneipp-Tretbecken, ganz überwuchert von Brombeerranken. Den Bach, über den die rutschige Holzbrücke führte, konnte sie nurhören. Erlen wuchsen links und rechts des Ufers, und in ihrem Schatten reckten riesige Farne ihre Wedel wie Krallen in die kühle Abendluft. Im

Weitere Kostenlose Bücher