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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Andenken. Darüber würde er unbedingt nachdenken müssen, wenn er die Beerdigung verkraftet hatte. Hinter dem Karton lauerte die Badezimmertür, und Verhoeven fragte sich, ob er die Bilder, die bei diesem Anblick aufs Neue in ihm heraufdämmerten,jemals wieder loswerden würde. Grovius’ halb nackter Körper auf den Fliesen. Die rotblonden Haare auf der Brust, in der das Herz einfach nicht wieder zu schlagen anfangen wollte. Ein Grovius stirbt nicht im Bett , hatte er oft gescherzt. Zweimal war er in eine Schießerei geraten, einmal nur knapp einem Attentat entgangen. In einer engen, dunklen Gasse war er dem Tod in Form einer Walther PP 9" begegnet. Verhoeven wusste, dass Grovius sich nach Abschluss der Ermittlungen das Projektil aus seiner Weste hatte geben lassen, um es fortan im Kleingeldfach seiner Geldbörse mit sich herumzutragen. Denk daran, mein Junge , hatte er gesagt, wann immer sie ein wenig philosophisch geworden waren, und dabei hatte er vielsagend auf das weiche Leder geklopft, irgendwann ist Schluss . Eines schönen Tages sagt der da oben: Das war’s, und dann musst du abtreten. Peng. Aus . Klappe runter . Ein Grovius stirbt nicht im Bett, echote es hinter Verhoevens Stirn. Diesen Vorsatz wahr zu machen, immerhin, war seinem Mentor vergönnt gewesen. Er schloss die Augen und dachte wieder an seinen Pflegevater. An Schmitz. An das schmale Bett in dem stickigen kleinen Zimmer. An die Gummiauflage über der Matratze. Und die Windeln, die Schmitz getragen und für die er sich so sehr geschämt hatte. Verhoeven hatte ihm die billige Polyesterdecke weggerissen und sich alles ganz genau angesehen. Jetzt bist du derjenige, der ins Bett pisst. Das war das Letzte, was er zu seinem Pflegevater gesagt hatte. Sag schon, wie fühlt sich das an? Dann war er gegangen und nie mehr zurückgekehrt. Zwei lange Jahre hatte Schmitz noch durchgehalten, bevor sie ihn tot auf seiner Gummimatratze gefunden hatten. Ein zweiter Schlag hatte zu Ende gebracht, was der erste versäumt hatte. Lag hier die Gerechtigkeit? Dass Grovius ein Leben in der Matratzengruft erspart worden war? Eine armselige Gerechtigkeit war das. Armselig und irgendwie auch bedeutungslos.
    Das unerwartete Geräusch eines sich drehenden Schlüssels im Türschloss ließ Verhoeven aufhorchen. Automatisch tastete er nach seiner Waffe, die im Halfter unter dem Jackett steckte und an deren Gewicht er sich so sehr gewöhnt hatte, dass es dieser Geste, dieser Vergewisserung bedurfte, um ganz sicherzugehen, dass sie da war. »Ulla?«
    »Wer ist da?«
    Das war eine Männerstimme. Eindeutig. Verhoeven stand auf.
    »Was machen Sie hier?«
    Er war dem jungen Mann im Türrahmen noch nie begegnet. Trotzdem erkannte er ihn sofort. »Holger?«
    »Woher kennen Sie meinen Namen?«
    »Ich bin ... war ein Kollege Ihres Vaters.« Er zögerte einen flüchtigen Augenblick, bevor er hinzufügte: »Sein Partner.«
    »Ach ja?« Zu Verhoevens Erschrecken sah Holger Grovius seinem Vater sehr ähnlich. Derselbe Gesichtsschnitt, dieselben rotblonden Haare, die am Hinterkopf bereits schütter wurden. Nur die Augen waren anders. Enger und nicht so lebendig. Sein hellgrauer Anzug sah aus, als habe er darin geschlafen. In seinem Blick lag ein sorgsam kultiviertes Desinteresse. »Und was haben Sie hier zu suchen?«
    Verhoeven deutete auf den Pappkarton auf dem Tisch. »Da waren noch ein paar persönliche Dinge Ihres Vaters in seinem Schreibtisch, die ich ... «
    »Von mir aus.« Er trat an den Tisch und warf einen flüchtigen Blick in die Kiste. Dann sah er Verhoeven an. »Sie haben einen Schlüssel zu dieser Wohnung?«
    »Ja.«
    »Gut, den brauchen Sie ja jetzt nicht mehr.« Er streckte die Hand aus. Eine provozierende und zugleich überaus verächtliche Geste. »Wissen Sie zufällig, ob es noch mehr Leute gibt, die hier ein und aus gehen?«
    Verhoeven zog seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und löste nacheinander den Schlüssel zu Grovius’ Wohnung und den zur Haustür aus dem Ring. Die Art und Weise, wie Holger Grovius mit ihm umging, passte ihm ganz und gar nicht. Trotzdem zwang er sich zur Ruhe. »Nur Ulla«, entgegnete er betont gelassen. »Die zweite Frau Ihres Vaters.«
    »Diese hysterische alte Säuferin, was?« Ein abfälliges Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Na schön, haben Sie die Adresse?«
    Verhoeven zeigte wieder auf den Karton. »Das Adressbuch Ihres Vaters ist da drin«, sagte er mit steinerner Höflichkeit.
    Der andere verzog keine Miene. »Tja, dann werde

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