Der Beutegaenger
entgegen.
»Sie wissen, dass Ihre Kollegin gestern Abend ermordet wurde?«, begann Verhoeven, indem er unaufgefordert auf einem der beiden Besucherstühle Platz nahm.
Monika Gerling nickte, sagte aber nichts.
»Wann hat Frau Leistner das Büro gestern Abend verlassen?«
»Sie hatte bis vier Uhr Dienst.«
»Ist sie gleich nach Dienstschluss gegangen?«
»Sie hat sich noch umgezogen.«
Verhoeven sah der Buchhalterin direkt in die Augen. »Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist Frau Leistner im Stadtwald getötet worden. Beim Joggen«, sagte er. »Ist sie regelmäßig gelaufen?«
»Zumindest verließ sie oft in Joggingkleidung das Büro«, antwortete Monika Gerling mit einem Lächeln, das ihm nicht gefiel. Er kannte den Typ. Eine von den Frauen, die alles und jeden beobachteten, die die Menschen in ihrer Umgebung regelrecht ausweideten, um dadurch ihre eigene Gefühllosigkeit, die emotionale Leere, die in ihrem Inneren herrschte, zu kompensieren. Eine Weltausweiderin.
»Wie meinen Sie das?«, hakte er nach.
»Na ja«, entgegnete die Buchhalterin hintergründig. »Wenn jemand in Jogginganzug und Turnschuhen das Haus verlässt, sollte man doch eigentlich davon ausgehen, dass er joggen geht, oder?«
Verhoeven erwiderte ihr Lächeln ohne jeden Enthusiasmus. Er hatte keine Lust auf die Spielchen, die sie spielte. Aber er musste sich zusammenreißen. »Wie lange kannten Sie Frau Leistner?«
»Ich habe bereits hier gearbeitet, als Susanne eingestellt wurde«, antwortete die Buchhalterin. Dann dachte sie einen Augenblick nach. »Das dürfte etwa sechs oder sieben Jahre her sein.«
»Hatten Sie auch außerhalb der Arbeit Kontakt zu ihr?«
Monika Gerlings Augen blickten ihn durchdringend an. Eine auffällige Brosche saß unterhalb ihres Rundhalsausschnitts wie eine Spinne. »Susanne gehörte nicht zu den Menschen, an die leicht heranzukommen ist.«
»In welcher Stimmung war sie, als sie gestern Abend dasBüro verließ?«, fragte Winnie Heller, die sich bislang zurückgehalten hatte.
Die Antwort der Buchhalterin kam wie aus der Pistole geschossen. »Sie war völlig entnervt.«
Winnie Heller zog ihre an und für sich recht hübsch geschwungenen Augenbrauen hoch, die hell waren, wie Verhoeven überrascht registrierte, blond. »Wie äußerte sich das?«
»Na ja, sie war angespannt. Einsilbig eben. Kurz angebunden am Telefon und im Umgang mit ihren Kolleginnen.« Monika Gerling zögerte. »Das war in der letzten Zeit allerdings fast ein Dauerzustand bei ihr«, räumte sie ein.
Verhoeven fixierte ihren Blick. »Hatte sie Sorgen?«
Die Buchhalterin antwortete mit einer Gegenfrage: »Haben wir die nicht alle?«
»Sie wissen nicht zufällig, ob Frau Leistner gestern Abend noch irgendetwas vorhatte? Außer dem Joggen, meine ich.« Er musste an sich halten, sich seine Aversion nicht zu offen anmerken zu lassen. »Könnte sie möglicherweise eine Verabredung gehabt haben?«
Monika Gerling schüttelte den Kopf. »Davon weiß ich nichts. Und an Ihrer Stelle würde ich auch nicht davon ausgehen.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. Im Licht der Sonnenstrahlen, die durch das Fenster hereinfielen, tanzten feine Staubteilchen. »Bei solchen Gelegenheiten trug Susanne gewöhnlich etwas mehr Make-up zu ihren Turnschuhen.«
»Sie hatte also hin und wieder Verabredungen?«, resümierte Verhoeven.
Monika Gerling lächelte wieder ihr anzügliches Lächeln. »Sie war eine attraktive Frau.«
Winnie Heller schob sich eine kupferrote Haarsträhne aus dem Gesicht. »Und was waren das für Männer, mit denen sich Ihre Kollegin getroffen hat?«
»Also, ich weiß nur von einem.« Monika Gerling war offenbar finster entschlossen, sich den Spaß an dieser Unterhaltung nicht verderben zu lassen.
»Hat dieser Herr auch einen Namen?«
»Enrico Grabner«, entgegnete die Buchhalterin ohne Umschweife. »Er ist einer von diesen . . . «, sie betonte das Wort bewusst abfällig, »... Vertretern für Arzneimittel, die hier regelmäßig vorbeischauen.« Sie warf Verhoeven, der sich Notizen machte, einen vielsagenden Blick zu. »Und er ist verheiratet.«
»Hat Frau Leistners Mann von der Affäre gewusst?« Monika Gerling leckte sich über die Lippen. »Sind Sie Gernot schon begegnet?«
Verhoeven registrierte, dass auch Winnie Hellers Geduld allmählich an ihre Grenzen stieß. Schnell übernahm er es, die nächste Frage zu stellen. »Hat es in der letzten Zeit irgendwelche merkwürdigen Anrufe gegeben? Fühlte Ihre Kollegin sich vielleicht
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