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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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den letzten Wochen und Monaten verlaufen war, konnte es unmöglich weitergehen. Sie zerrieb sich. Sie musste eine Entscheidung treffen.
    »Sag bloß, du gehst schon wieder laufen . . . «
    Susanne zuckte zusammen. Im Türrahmen lehnte ihre Kollegin Monika Gerling und blickte herausfordernd interessiert zu ihr herüber. Sie erinnerte Susanne an ein pummeliges, altkluges Mädchen, das einen Regenwurm entdeckt hatte. Gleich wird sie mich in eine Schachtel stecken und triumphierend heim zu ihrer Mutter tragen, dachte sie.
    »Stell dir vor, Moni«, erwiderte sie zuckersüß, »Regelmäßigkeit ist der Witz beim Joggen.«
    Die kleinen grauen Augen unter den dichten Brauen blickten sie aus dem Spiegel heraus prüfend an. Wie üblich trug Monika Gerling einen Rundhalspullover zum knielangen Faltenrock. Susanne hatte sich schon oft gefragt, was die Kollegin wohl anhatte, wenn sie zu einer Feier oder ins Theater ging. Vermutlich dasselbe. »Wenn du so weitermachst, klappst du uns eines Tages zusammen.«
    Susanne ging in die Knie, um die Schnürsenkel ihrer Laufschuhe zu binden. Sie starrte auf die rissigen Fliesen hinunter und ließ sich betont viel Zeit, auch, weil sie insgeheim darauf hoffte, dass ihre Kollegin irgendwann die Lust verlieren und in einer der Kabinen verschwinden würde, doch wenn Monika Gerling erst einmal Witterung aufgenommen hatte, gab es kein Entrinnen. Susanne konnte ihren durchdringenden Blick zwischen ihren Schulterblättern spüren wie einen Dolch. Hatte Monika eben tatsächlich vom Jogging gesprochen? Nur vom Jogging? Wenn du so weitermachst ...
    »Zu viel Sport ist ungesund«, sagte sie jetzt mit diesem hintergründigen Lächeln, das Susanne so verabscheute.
    »Jedenfalls werden meine Hüften nicht eines Tages zwischen den Lehnen eines Bürostuhls stecken bleiben«, kontertesie bewusst provozierend, indem sie sich wieder aufrichtete und ihrer Kollegin direkt in die Augen sah.
    Doch Monika Gerling nahm die bissige Bemerkung auf, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie war neugierig. Sie lebte für die Befriedigung dieser Neugier. Für Stolz blieb da wenig Raum. Noch immer lächelnd, startete sie einen neuen Angriff. »Und? Was macht die Kleine?«
    »Wächst und gedeiht«, antwortete Susanne zu schnell und unnötig gereizt, wie immer, wenn die Sprache auf ihre Tochter Amelie kam, die in der nächsten Woche drei Jahre alt wurde. Aber sie wollte nun einmal nicht über ihre Tochter sprechen. Basta. Über ein Kind zu sprechen, das sie nicht hatte haben wollen, schien ihr irgendwie ungehörig. Und sie hatte Amelie nicht haben wollen. Da machte sie sich nichts vor. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Gernot, der Vater des Kindes, keineswegs der Mann war, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte.
    Deshalb hatte sie auch sofort an eine Abtreibung gedacht, als der Arzt ihr die Schwangerschaft bestätigt hatte, an die schnelle und weitgehend schmerzlose Korrektur eines Fehlers. Doch anstatt sich ein paar Tage freizunehmen, in die Klinik zu fahren und die Sache ein für alle Mal hinter sich zu bringen, hatte sie einen zweiten, weitaus größeren Fehler begangen, den entscheidenden: Sie hatte über ihre Schwangerschaft gesprochen. Sie hatte ein Geständnis abgelegt, ohne Zwang, ohne Druck, ohne Not. Ein vollkommen überflüssiges Geständnis mit schwerwiegenden Folgen, denn urplötzlich hatten sich alle Menschen in ihrer Umgebung gefreut. Gernot hatte sich gefreut, geradezu maßlos gefreut. Ihre Eltern waren außer sich gewesen: das erste Enkelkind! Sogar ihre Schwester, die sich ansonsten nur äußerst selten freute, war in einen sündhaft teuren Laden gerannt und hatte einen pastellgelben Strampelanzug gekauft, für ein Kind, das garnicht leben sollte. Und alle miteinander hatten Susanne sanft und unmerklich die Kontrolle über die Situation aus der Hand genommen, hatten Pläne gemacht für ihr Leben, hatten eine Hochzeit vorbereitet, die sie nicht wollte, und eine größere Wohnung gesucht, in der sie sich verloren vorkam. Sie raffte Rock, T-Shirt und Strickjacke vom Hocker neben dem Waschbecken und faltete die Kleidungsstücke ordentlich zusammen. Wenn sie heute zurückblickte, erschienen ihr die Monate bis zur Entbindung wie ein riesiges schwarzes Loch. Amelie war geboren und von vielen offenen Armen empfangen worden, allen voran von Gernot, der sich als wunderbarer Vater erwies. Er wusch und windelte die Kleine, kochte Brei, pürierte eine Unmenge an Biogemüse

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