Der Beutegaenger
dabei regelmäßig die Alte Stiege.«
»Sie sieht dem ersten Opfer übrigens nicht ähnlich«, bemerkte Verhoeven. »Überdies ist sie deutlich älter.«
»Keine Fixierung auf einen bestimmen Typ also«, murmelte Hinnrichs.
»Nein.«
»Sonstige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Opfern?«
Verhoeven wollte antworten, doch Winnie Heller kam ihm zuvor. »Keine.«
Hinnrichs blickte auf. Zu Verhoeven. Was ist mit Ihnen? Sind Sie auch dieser Ansicht?
Winnie Heller bemerkte die unausgesprochene Frage in seinem Blick und wandte zornig den Kopf ab. Und? Wie kommen Sie klar mit Verhoeven? Hinnrichs’ Frage vorhin, als ihr Boss noch kurz im Büro gewesen war. Sie hatte Hinnrichs angesehen, offen und ohne erkennbare Scheu, und in aller Eile die Alternativen erwogen. Sollte sie ehrlich sein und riskieren, bei den neuen Kollegen von Beginn an als Nestbeschmutzerin zu gelten? Eine, die Konflikte zu Vorgesetzten trug, anstatt sie geradeheraus anzugehen, von Angesicht zu Angesicht? Was hielt man von so einer? Sie hatte zwar eigentlich nicht das Gefühl, dass Hinnrichs Verhoeven besonders schätzte, auch wenn sie altersmäßig nicht allzu weit auseinanderlagen, aber man konnte schließlich nie wissen, wie weit diese Männerbündelei reichte. Sein Arbeitsstil ist ... Sie hatte gezögert und es dann doch ausgesprochen: Sein Arbeitsstil ist gänzlich anders als meiner . Hinnrichs hatte sie mit einem Blick bedacht, der ihr unvermittelt das Gefühl gegeben hatte, Teil eines Experiments zu sein, von dem selbst der entschieden von seiner Menschenkenntnis überzeugte Leiter des KK 11 zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen konnte, wie es ausgehen würde. Das ideale Team ist eines, bei dem sich die Partner in all ihren Stärken und Schwächen ergänzen, hatte er nach einer ganzen Weile gesagt. Vergessen Sie das nicht . Wütend stellte sie ihre volle Kaffeetasse auf dem Boden neben ihrem Stuhl ab. Allerweltsgetue!
»Zumindest rein äußerlich bestehen tatsächlich keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen Tamara Borg und Susanne Leistner«, sagte Verhoeven nach kurzem Überlegen. Auf dem Weg in die Tagesstätte hatte er seiner Tochter erklärt, warum sie das geplante Eis auf später verschieben mussten. Er hatte sich die Zeit genommen, Nina bis in ihren Gruppenraum zu begleiten, und sogar gewartet, bis sie sich in die Bauecke zu den Jungen gesellt und damit begonnen hatte, einen hochkomplizierten Turm zu errichten. Trotzdem ließ ihm sein schlechtes Gewissen einfach keine Ruhe, und nach und nach wurde ihm klar, dass sich dieses schlechte Gewissen auch auf Tamara Borg erstreckte. Du bist nicht verantwortlich , mahnte Silvie hinter seiner Stirn. »Dieses Mal können wir allerdings mit ziemlicher Sicherheit ausschließen, dass der Täter seinem Opfer gefolgt ist«, fuhr er fort, bevor Winnie Heller das Heft wieder an sich reißen konnte. Doch sie schien sich über irgendetwas geärgert zu haben und machte keine Anstalten, seine Ausführungen zu kommentieren. »Er hat vielmehr an einer günstigen Stelle des Treppenaufgangs eine der Straßenlaternen zerschlagen, wodurch die Biegung, hinter der er ihre Leiche über das Geländer geworfen hat, fast völlig im Dunkeln lag.«
»Ich würde auch annehmen, dass er an derselben Stelle auf sein Opfer gelauert hat«, mischte sich Winnie Heller nun doch wieder in die Diskussion ein. »Auf diese Weise hat sie ihn erst sehr spät bemerken können.«
Verhoeven betrachtete ihr Profil. Ihm war klar, dass sie versucht hatte, ihn abzuhängen. Und irgendwie konnte er sie sogar verstehen. Sie war jung. Sie war ehrgeizig. Und sie hatte sich ihren ersten Einsatz bei der Mordkommission ganz sicheranders vorgestellt. »Offensichtlich geht es dem Täter nicht vorrangig um das Töten seiner Opfer«, bemerkte er in Hinnrichs’ Richtung, doch der sah schon wieder aus dem Fenster, als wolle er seinen Kommissaren und den unbequemen Wahrheiten, von denen sie berichteten, ausweichen. »Von zentraler Bedeutung scheint vielmehr zu sein, was er anschließend mit den toten Frauen anstellt.«
Das Klingeln des Telefons unterbrach seine Mutmaßungen. Hinnrichs nahm ab. Dann reichte er Verhoeven den Hörer über den Schreibtisch. »Das kriminaltechnische Labor für Sie.«
Verhoeven hörte eine Weile schweigend zu. »Ja«, sagte er schließlich. »Das ist allerdings seltsam ... Aha ... Ja gut, ich danke Ihnen.« Er legte auf. »Sie haben das Zeug identifiziert, das der Täter in die Wunden des Opfers gestreut hat. Es handelt sich
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