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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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mich wappnen, vielleicht gar damit rechnen, dass er mich angreift? Wie war es möglich, dass er seine Opfer derart überrascht hatte? Wo hatten diese Frauen ihre Instinkte? Tamara Borg hat sich gewehrt, dachte sie. Allerdings erst, als ihr schon die buchstäbliche Schlinge um den Hals lag , erinnerte sie eine imaginäre Dr. Gutzkow. Warum so spät? Sie ging ein paar Schritte weiter und blickte über das Geländer auf das Lichtermeer der Stadt. Eine Verkleidung, fuhr es ihr durch den Sinn. Wir suchen nach jemandem, der eine Maske trägt!

Seine Frau hat gemahahaaaalt. Er könnte schreien vor Lachen, aber er beherrscht sich. Sonst hat er sie und ihre gekränkte Seele die nächsten paar Tage am Hals, und das kann er jetzt nicht brauchen.
    Ein Aquarellkurs. Volkshochschule. Berge in Babyrosa! Geradezu rührend in ihrer Uninspiriertheit.
    »Wie hübsch.«
    Nicht gerade der Kommentar, den sie erwartet hat, aber ein Anfang. Ihre Lippen stülpen sich ihm entgegen. »Es ist natürlich nur ein erster Versuch. Um die Technik kennenzulernen.«
    »Es ist toll.« Wie viele von diesen scheußlichen Panschereien hat sie weggeworfen, bis ihr eine davon gut genug gefallen hat, um sie ihm zu zeigen? Dreißig? Vierzig?
    Sie tritt einen Schritt zurück und betrachtet ihr Werk aufs Neue, als sähe sie es in diesem Augenblick zum ersten Mal. »Denkst du, es ist zu . . . ?«
    . . . Rosa? Sicher ist es das. Es brüllt nur so vor Rosaheit, du dreckige alte Fotze.
    ». . . gegenständlich?«
    »Oh nein, ganz und gar nicht.«
    Sie trieft ihn an. Dankbar. »Meinst du?«
    Er nickt, während ihr nichtssagendes Gesicht zu einem milchigen Auge verschwimmt, aus dessen Pupille unvermittelt eine blutige Fontäne schießt. Sprudelt. Die Gewalt des Bildes, seines Bildes, lässt ihn leise aufschreien, während das Blut aus ihrem Auge auf den Küchenboden spritzt und in den Ritzen zwischen den Kacheln versickert, aus denen Blumen sprießen. Mohn. Ein ganzes Feld voller scharlachroter Blüten. Ihm ist nach Singen. Wieder. Noch immer. Die Gedichte, die er heute schreibt, können nicht anknüpfen an die anderen, die alten, natürlich nicht, dazu fehlt es ihm an Inspiration, aber er schreibt sie trotzdem, schreibt sie auf das beste Papier, das er kriegen kann, und wenn sie fertig sind, frisst er sie auf. Sprachkannibalismus . . .
    »Ist dir nicht gut?«
    »Was?«
    Kann ich Ihnen helfen?
    »Oh ja«, hört er sich sagen, bevor er etwas dagegen unternehmen kann. »Du kannst mir helfen, eine alte Freundin zu überraschen. Sie hatte eine Katze, die sie liebte, weißt du?«
    Sie starrt ihn an. »Was meinst du?«
    »Nichts.« Die Dinge überlagern sich. Er muss aufpassen. In seinem Inneren pocht noch immer das Scharlachrot des Mohns und bringt den Ton zum Schweigen, der seit der Alten wieder in ihm schwingt, ohne dass er ein Mittel wüsste, ihn abzustellen. »Wie wäre es, wenn wir es rahmen ließen?«
    Glück gehabt! Sie ist geschmeichelt. »Ich weiß nicht. . .« »Doch, doch«, sagt er eifrig. »Das sollten wir unbedingt tun.«
     
     
     
    »Aber wenn ich wieder einmal plötzlich zu einem Fall muss und du bist nicht da . ..« »Ich war auch heute nicht da.«
    »Du warst beim Arzt.«
    »Sage ich ja.« Silvie Verhoeven saß an ihrer Schminkkommode und kämmte ihr Haar, das im weichen Licht der Nachttischlampe wie Silber glänzte.
    »Das ist doch etwas völlig anderes.« Verhoeven nahm Grovius’ Uhr ab und legte sie in das Etui auf dem Nachttisch. »Ich spreche nicht von Ausnahmen.«
    »Nicht?« Allmählich verlor sie die Geduld. Er spürte es deutlich. Aber er konnte nicht aufhören. Das war schon immer sein Problem gewesen. Nicht aufhören zu können. »Also schön.« Sie drehte sich um. »Wenn es wirklich wieder einmal vorkommen sollte, dass ich weg muss und du es ganzund gar nicht einrichten kannst, dich um Nina zu kümmern, könnten ja auch meine Eltern . ..«
    »Nein.« Sein Tonfall war zu scharf, aber die Hilfe seiner Schwiegereltern in Anspruch zu nehmen war so ziemlich das Letzte, was er wollte. Für seinen Geschmack reichte es vollkommen, was Nina von den turnusmäßigen Besuchen bei ihren Großeltern an krausen Ideen und unbequemen Fragen mit nach Hause brachte. Warum haben wir kein Privatflugzeug? Stimmt es, dass Opa den Leuten Gold in den Mund spritzt? Wie schmeckt denn das, Gold? Oh nein, da konnte er unter keinen Umständen auch noch Extrarationen an Snobismus verantworten. Nicht einmal in Notfällen.
    »Okay«, sagte Silvie. »Dann nicht.«
    Er

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