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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Knien lagen. »Außerdem geht sie seit diesem Abend auch nicht ans Telefon.« Ihre Miene wurde ernst. »Sie ist überhaupt nicht mehr zu erreichen.«
    Verhoeven spürte ein eigenartiges Kribbeln in seinen Unterarmen. Eine brennende Unruhe. Ein Gefühl von zunehmender Dringlichkeit. Isolde Reisinger war die Alte Stiege hinuntergegangen, etwa zur selben Zeit, als dort Tamara Borg ermordet wurde. Und seither war sie überhaupt nicht mehr zu erreichen. Was hatte sie gesehen, als sie den dunklen Treppenaufgang hinuntergekommen war? Wem war sie auf ihrem Weg begegnet?
    »Und Sie sind sich ganz sicher, dass Ihre Freundin nicht doch überraschend verreist sein kann?«, wandte er sich wieder an Lore Simonis. »Hat sie vielleicht Verwandte, die sie besuchen könnte?«
    »Auf keinen Fall«, antwortete die alte Dame. »Isolde ist verwitwet. Die Ehe war kinderlos, und ihre einzigen Verwandten leben in den Vereinigten Staaten. Außerdem hätte sie niemals gesagt, sie käme am nächsten Tag vorbei, wenn sie schon etwas anderes vorgehabt hätte«, beharrte sie.
    »Haben Sie in der Wohnung Ihrer Freundin nachgesehen?«,erkundigte sich Winnie Heller, die aufgestanden war und eine halb volle Kaffeekanne vom Sideboard neben der Spüle nahm.
    Das Gesicht der alten Dame verfinsterte sich. »Ich habe es versucht«, sagte sie. »Glauben Sie nur nicht, mir sei nicht auch der Gedanke gekommen, dass Isolde vielleicht gestürzt ist und einfach nicht ans Telefon oder zur Wohnungstür gelangen kann. Sie ist zwar kerngesund, aber in unserem Alter geschehen hin und wieder unvorhergesehene Dinge, nicht wahr?« Sie hob abwehrend die Hände, als Winnie Heller ihr Kaffee nachschenken wollte. »Also war ich gestern Abend dort und habe den Hausmeister gebeten, in ihrer Wohnung nach dem Rechten zu sehen.«
    Über ihre Wangen breitete sich eine zarte Röte, und Winnie Heller registrierte mit Verwunderung, dass ein solcher Farbwechsel durchaus etwas Apartes haben konnte. Zugleich dachte sie an Elli und fragte sich, warum ihre Eltern keine von ihnen beiden Isolde genannt hatten, nach der Hauptperson ihres Lieblings-Wagners. Winifred und Senta-Elisabeth stattdessen, Holländer und Tannhäuser . Vielleicht haben meine Eltern auf einen Tristan gewartet, der nicht gekommen ist, dachte sie. Ob sie sich beruhigt hatten? Vielleicht hatten sie Elli wieder vergessen, die Existenz ihrer Tochter endgültig aus ihrer Erinnerung gelöscht. Sie trank einen Schluck von ihrem Kaffee, der kaum mehr als lauwarm war, und empfand diese Möglichkeit zum ersten Mal in ihrem Leben als wünschenswert.
    »Aber er hat sich kategorisch geweigert, mir die Tür aufzuschließen«, fuhr Lore Simonis unterdessen fort, und Winnie brauchte ein paar Augenblicke, um zu verstehen, dass sie über einen Hausmeister sprach. Den Hausmeister, der für die Wohnung ihrer Freundin zuständig war. Sie musste unbedingt besser bei der Sache bleiben! »Vermutlich hatte er Angst, dassich mit dem Tafelsilber verschwinde, wenn er mir den Rücken zudreht«, sagte Lore Simonis mit nur unvollkommen verborgenem Ärger. »Dabei kennt er mich seit Jahren als Isoldes Freundin.«
    Verhoeven nickte und erhob sich von seinem Stuhl. »Meine Kollegin und ich müssen ohnehin noch einmal hinüber zum Sonnenberg«, sagte er. »Bei dieser Gelegenheit werden wir bei Ihrer Freundin vorbeifahren und gegebenenfalls Nachforschungen anstellen, wenngleich ich mir sicher bin, dass es eine ganz harmlose Erklärung für Frau Reisingers Verschwinden gibt.«
    Lore Simonis blickte ihn prüfend an. »Sind Sie das?«, fragte sie, und eine unerwartete Strenge mischte sich in den Klang ihrer Stimme. »Sind Sie sicher, dass es eine harmlose Erklärung gibt?«
    Verhoeven hielt ihrem Blick stand. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Nein«, sagte er. »Da bin ich keineswegs sicher.«
    Lore Simonis, die ebenfalls aufgestanden war, nickte.
    Verhoeven drehte sich zu Stefan Werneuchen um. »Würdest du bitte dafür sorgen, dass Frau Simonis nach Hause gefahren wird?«
    »Das wird nicht nötig sein«, sagte Lore Simonis lächelnd, indem sie Werneuchen, der eben zum Telefon greifen wollte, eine ihrer zarten Hände auf die Schulter legte. »Ich fahre mit Ihnen und Frau . . . « Fragend blickte sie Winnie Heller an.
    Diese musste sich mühsam das Lachen verbeißen, als sie Verhoevens Gesichtsausdruck sah. »Heller«, antwortete sie fröhlich. »Winifred Heller.«

Da ist er wieder, dieser Ton, der ihn seit geraumer Zeit begleitet und fast in den

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