Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games
wollte gerne verreisen. Sie würde gerne zum Grand Canyon fahren, hatte sie gesagt.
Factboy lebte mit seiner Familie in einem bescheidenen Haus mit drei Schlafzimmern in Flagstaff, Arizona – nur eine Stunde vom Canyon entfernt. Doch sie waren noch nie dort gewesen.
Er hatte das Gefühl, dass ein Nein von ihm vielleicht die Trennung oder sogar die Scheidung bedeutete und dass ein gerissener Anwalt darauf seine Einnahmequellen genauer unter die Lupe nehmen und alles kaputt machen könnte. Also hatte Factboy eingewilligt.
Sie waren zum Grand Canyon gefahren. Und im El Tovar abgestiegen, dem ältesten Urlaubshotel, das wie ein Haufen rußiger Holzlatten wirkte, die nur wenige Meter von einem riesigen gähnenden Loch in der Erde entfernt standen.
Kurz nach ihrer Ankunft am Südrand des Canyons hatte Factboy mehrere Panikattacken gehabt. Er litt eigentlich nicht unter Höhenangst, obwohl man bei den anderthalb Kilometern bis zum Grund des Canyons schon Beklemmungen kriegen konnte. Nein, was ihm eine Heidenangst einjagte, war die Tatsache, dass es dort keinen Zaun gab. Hey, nichts. Nicht mal einen notdürftigen kleinen Maschendrahtzaun. Keine Leitplanke. Nichts. Und überall waren Kinder – auch seine – und sprangen herum, warfen sich in Pose und machten Faxen, ohne sich auch nur im Geringsten bewusst zu sein, dass der plötzliche Tod nur ein beschissenes Hoppla entfernt war . Factboy konnte gar nicht hinschauen. Aber er konnte auch nicht wegschauen.
Und dann ging die dringende Anfrage von Mann bei ihm ein.
Nach einem Blick auf die Anzeige sagte er seiner Frau:
»Ich muss mal Hände waschen.«
Hände waschen: Das war ihr Code für »großes Geschäft«.
»Jetzt?«
»Ja. Jetzt.«
»Ist alles an seinem Platz?«, fragte Mann.
»Jepp«, sagte A. D. »Er muss nur noch vor die Tür kommen.«
SIEBEN
Wer sind die? Ich will wissen, wer die sind.
JOHN AQUINO, BLOW-OUT
H ardie konnte nicht glauben, was seine Augen seinem Gehirn übermittelten.
»Wo zum Henker ist mein Wagen?«
»Weg vom Fenster«, zischte die junge Frau. »Bitte, ich flehe dich an. Du hast nachgeschaut, du bist sauer, und jetzt geh verdammt noch mal weg da, bevor etwas Schlimmes passiert.«
»Es stand eben noch da.«
»Bist du wirklich so blöd? Oder hast du nicht verstanden, was ich gesagt habe?«
Doch Hardie war zu sehr auf den Streifen Asphalt vor der Garage konzentriert. Der Anblick hatte sein Hirn lahmgelegt. Das ergab keinen Sinn. Als er schließlich zu der Psycho-Tussi herabschaute, die mit dem Mikroständer in der Hand neben ihm kauerte, hatte er die Schnauze voll. Und stürzte zur Tür. Er dachte, er wäre ziemlich schnell, doch sie war sehr viel schneller, auch wenn sie humpelte.
Die Frau holte ihn mühelos ein, schob sich in die Lücke zwischen ihm und der Wand und richtete erneut das Ende des Ständers auf seine Halsgrube.
»Nein«, sagte sie.
Hardie versuchte, sie zur Seite zu stoßen. »Weg da.«
» Die haben sich deinen Wagen geschnappt, kapierst du nicht?«
»Tja, dann werde ich die zwingen, ihn wieder rauszurücken. Weg da.«
»Du kannst nicht da raus. Wenn du da rausgehst, bist du tot.«
»Ich kann sie immer noch einholen.«
Das meinte Hardie nicht ganz ernst. Die Straßen hier oben waren sehr kurvenreich. Die – wer auch immer – hatten den Wagen erst vor ein paar Sekunden gestohlen. Er hatte es gehört. Es bestand vielleicht die Chance – wenn auch nur eine geringe, aber eine Chance –, sie zu Fuß einzuholen. Und was dann? Sollte er die Frau hier allein zurücklassen, in dem Haus, das er bewachen sollte?
Sie zischte ihm zu:
»Runter! Schlimm genug, dass sie dich gesehen haben!«
Manchmal wunderte Hardie sich, wie schnell manchmal die Dinge außer Kontrolle gerieten. Wie lange war er jetzt in L. A. … gerade mal neunzig Minuten? Und schon hatte er all seine Habseligkeiten verloren, außer dem Portemonnaie in der Gesäßtasche, den nutzlosen Autoschlüsseln in seiner Vordertasche, dem Handy ohne Netz und den Klamotten, die er am Leib trug. Und er war von einem Dach gesprungen und in unidentifizierbarer Tierscheiße gelandet. Es würde ihn nicht wundern, wenn ihn diese irre Braut
mit gezücktem Messer zwang, sich auszuziehen und von der Terrasse in die Wildnis zu springen, nur um ihm zu zeigen: So läuft das hier in Hollywood .
Dann fiel Hardie ein, dass seine Reisetasche noch auf dem Beifahrersitz des Hondas irgendwas lag, und sein Magen zog sich vor Kummer
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