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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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Aufsatz nicht zu Ende gelesen, so dürftig fand ich seine Argumentation. Trotzdem signalisierte ich ihm gegenüber Zustimmung. Zu diesem Zeitpunkt machte ich mir Hoffnungen auf eine bei ihm im Institut ausgeschriebene Stelle.
    Die Universität liegt oberhalb der Ria, der Campus ist nicht besonders groß. Trotzdem habe ich Schwierigkeiten, mich zurechtzufinden. Ein Student zeigt mir den Weg zu Salvatores Büro. Als ich den Gang erreiche, zucke ich zusammen. Vor der Tür stehen zwei durchtrainierte Männer mit Knopf im Ohr. Ich zucke zusammen, Fluchtreflex.
    Eigentlich war es zu erwarten – ich habe trotzdem nicht damit gerechnet.
    Salvatore hat Leibwächter.
    Der Professor, der unter Franco kurzzeitig inhaftiert war, weil er mit anarchistischen Gruppen sympathisiert haben soll und sich mit Ethikschriften den Ruf als einer der wichtigsten Denker Spaniens erwarb, ist seit Mitte der neunziger Jahre Sprecher der Bewegung Libertad. Die Initiative spricht sich für die »polizeiliche Zerschlagung der Bande« und das »Austrocknen des Sympathisantensumpfs« aus. Seit Salvatore als Sprecher der Bewegung auftritt, steht er auf der Liste der gefährdeten Personen.
    Das Eigenartige ist, dass ich nicht nur Zubieta verstehe, sondern auch manche Argumente des Professors teile: dass die Identität der Menschen von X wie alle anderen auch konstruiert sei und ständig weiter geschrieben werde, dass sich Kultur im Fluss befinde und jedes Festhalten an einem Zustand irgendwann ins Regressive umschlagen müsse, dass nicht zu verstehen sei, warum sich Globalisierungskritiker über die Homogenisierung der Welt aufregen, aber kulturelle Vereinheitlichungen innerhalb von Landesgrenzen nicht nur für akzeptabel, sondern sogar für unverzichtbar halten würden, weil Nationenbildung immer der Angleichung von Lebensweisen, Dialekten, Überzeugungen und politischen Erzählungen bedürfe.
    Das Eigenartige ist, dass auch Zubieta, gäbe es einen Raum für eine gemeinsame Diskussion, mit Salvatore in diesen Fragen übereinstimmen würde.
    Und trotzdem wären beide alles andere als unglücklich, wenn ein Kommando – der Polizei oder der Organisation – den jeweils anderen entführen, bis ans Lebensende wegsperren, erschießen würde.
    Ich teile den Leibwächtern mit, dass ich einen Termin beim Professor habe und werde routinemäßig nach Waffen abgetastet. Dann werde ich zum Professor gelassen, er duzt mich sofort.
    »Da bist du ja.« Schulterklopfen. »Wie geht es meinem alten Freund?«
    Ich antworte, dass es Haberkamm seit seinem 74. Geburtstag langsamer angehen lasse, er aber immer noch beeindruckend agil sei.
    »Ein Kämpfer. Europa – das ist doch sein Lebensprojekt!« Salvatore klatscht in die Hände. »Dass die Franzosen die Verfassung abgelehnt haben, das war eine Riesenscheiße. Aber davon dürfen wir uns nicht ins Bockshorn jagen lassen. Wir brauchen jetzt konkrete Projekte. Initiativen wie eure, durch die wir als Europäer sprechen und denken lernen.« Er blättert die Briefe durch, die mit der Post am Morgen gekommen sind. »Hast du schon eine Wohnung?«
    Ich nicke.
    »Gut, sehr gut.« Salvatore wendet sich seiner Sekretärin zu. »Kannst du El País Bescheid geben, dass ich meinen Artikel erst zum Wochenende schicken kann?« Aufgedreht blickt er sich um. »Du merkst, das Semester hat zwar noch nicht angefangen, aber hier ist trotzdem schon die Hölle los.« Ein Schnaufen. »Ich habe Hunger. Hast du schon gegessen? Es ist gleich zwei … Um die Ecke gibt es ein Spitzenrestaurant. Wenn wir hier etwas können, dann ist es Fisch zubereiten.«
     
    Eine Viertelstunde später sitzen wir in der Mittagssonne und essen Kabeljau. Die Situation könnte kaum unwirklicher sein. Einer der Leibwächter sitzt am Nebentisch, der andere hat sich am Eingang zum Restaurantgarten postiert. Obwohl Salvatore immer wieder einen Satz an sie richtet, sind sie nicht wirklich präsent. Der Mann am Tisch, so viel immerhin ist zu erfahren, heißt Javier, ist 32 Jahre alt und stammt aus Sevilla. Rabbee würde ihn wohl als »ziemliche Schnitte« bezeichnen – schwarzhaarig, muskulös, die Haare feucht nach hinten gegelt.
    Ich frage mich, ob es einer wie er war, der Jon, Montserrats Bruder, vor einem Jahr auf der Wache folterte. Ob es die jungen, sportlichen Typen sind, die auf die bañera, die Badewanne, spezialisiert sind, oder die alten Guardias Civiles, die noch durch die Schule der Diktatur gingen. Und dann überlege ich mir auch, was er mit mir, immerhin einem

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