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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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ziehen, überall nur ein 0,1-Liter-Glas Bier zu trinken und dazuzugehören: Teil einer Menge sein.
     
    »Was ist los?« fragt der Freund, als wir später mit vollem Bauch und etwas träge zur Ria hinuntergehen.
    Am rechten Ufer des Flusses werden die Metallbuden für die »Große Woche«, das Stadtfest, aufgebaut.
    Es nieselt.
    »Was soll sein?«
    Feucht-warme, stehende Luft. Das Gefühl, als müsse man gegen sie ankämpfen. Als bewege man sich durch eine zähe, gallenartige Masse.
    Eine fünf Meter hohe Metallbude mit einer Asterix-Figur und einem Hausbesetzerzeichen wird zusammengeschraubt, das Zelt mit dem Antlitz Groucho Marx’ thront bereits auf der gegenüberliegenden Flussseite. Während des neuntägigen Stadtfestes arbeiten nur Freiwillige an den Buden, oft in Zwölfstundenschichten. Mit dem Verkauf von Getränken und Essen finanzieren sich alle ihre Arbeit – Jugendbewegungen, alternative Sprachschulen, Frauengruppen, Internationalismuskomitees und die verbotenen Organisationen, die der Bande nahe stehen sollen.
    Ich könnte Rabbee sagen, dass es mich stört, wie wenig er davon wahrnimmt. Dass mich seine ignorante Art ankotzt. Aber das würde nichts an dem Problem zwischen uns ändern. An meinem Problem. Also schweige ich.
    »Gibt es hier nicht einen Club, wo man richtige Musik hören kann?«, fragt Rabbee.
     
    »Richtige Musik?«, frage ich.
    »Nicht so Heimorgel-Gitarren-Zeug.«
    Ich zucke mit den Achseln.
    Der Geruch der Papierfabriken steigt einem streng in die Nase. Der Nieselregen hat sich in txiri-miri, Sprühregen, verwandelt.
    »Ist doch scheißegal«, sage ich, »was für Musik läuft. Hauptsache, man hat Spaß dabei.«
    Die winzigen Tropfen stürzen nicht zu Boden, sie schweben. Mit dem Ärmel wische ich mir die Feuchtigkeit aus dem Gesicht.
    Rabbee schlägt vor, noch ein Bier trinken zu gehen.
    Weiter flussabwärts zeichnen sich die Umrisse der stillgelegten Stahlwerke ab.
     
    Wir betreten eine Kneipe, an deren Wand ein großer rotweißer Wimpel des örtlichen Fußballvereins hängt. Des einzigen europäischen Proficlubs, der nur Leute aus der eigenen Region beschäftigt. Angeblich um die Verwandlung des Vereins in einen Sportkonzern zu bremsen.
    Unter dem Wimpel steht ein Fernseher.
    Die Abendnachrichten werden in der marginalen Sprache gelesen. Obwohl ich nicht alles verstehe, erschließt sich mir der Inhalt sofort aus den Bildern.
    Auf dem Fernsehschirm ist ein Foto Zubietas zu sehen, er sitzt als Beifahrer in einem Wagen, hält die Hand an die Schläfe, als würde er grübeln. Das Bild ist überraschend scharf geschossen, wie die Aufnahmen an Radarfallen, über deren Qualität man auch immer wieder staunt. Das Gesicht hat nicht viel gemein mit dem, das ich aus Brasilien in Erinnerung habe – es erinnert an das Bild aus der Zeitung.
    Der Moderator erläutert, dass das Foto auf einer Landstraße unweit von X gemacht worden sein soll.
    Ich verstehe: mutmaßlich, bewaffnet, einen Ortsnamen, Polizei, Großfahndung. Nervös fasse ich in die Jackentasche. Meine Hände fühlen sich feucht an. Feucht und kalt.
    Rabbee steht auf, um am Tresen Zigaretten zu kaufen.
    Bis zu diesem Sommer hätte ich nicht für möglich gehalten, dass Zubieta jemals nach Europa zurückkehren würde. Wenn jemand von »uns brasilianischen Bauern« spricht, sollte man meinen, dass er sich in Südamerika eingelebt hat. In den Nachrichten aber heißt es, er habe die Grenze überquert und halte sich irgendwo in der Nähe von X versteckt, nur ein paar Kilometer entfernt.
    Der Studiosprecher befragt eine Korrespondentin, sie steht vor einem stark gesicherten Gebäude, es muss sich um das Hauptquartier der Regionalpolizei handeln. Die Korrespondentin spricht schnell, nervös, sich fast überschlagend. Wenn ich sie richtig verstehe, sagt sie, die Organisation, sie verwendet nicht das Wort Bande, müsse sich in einer tiefen Krise oder in einem Umbruch befinden, wenn ihr wichtigster Mann sich auf diese Seite der Grenze gewagt hat.
    »Wenn die Führung Frankreich verlassen hat«, verstehe ich, »dann muss sich etwas Wichtiges tun.«
    Und der Moderator im Studio antwortet, dass »all das viele Fragen aufwirft«.

IX
    Rabbee und ich feiern die Nacht durch und fahren am Morgen an die Küste. Das Land fällt über moosgrüne Steilklippen ins Meer hinab, schwere Brecher schlagen gegen die Felsen, der Atlantik ist grau, schaumüberzogen. Lange gehen wir an den Hängen spazieren, ohne zu sprechen. Rabbee scheint weniger müde zu sein

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