Der bewaffnete Freund
den Freunden überließen und mit unbekanntem Ziel weiter zogen. Sie gingen nach Brasilien und gelangten in den Bundesstaat Pará, wo ein wesentlicher Teil Amazoniens liegt. Was die Freundin machte, weiß ich nicht. Als ich Zubieta in Santarém traf, erzählte er wenig von ihr. Er selbst lebte auf einem Stück besetzten Land unweit der Stadt.
Die brasilianische Landlosenbewegung MST ist eine eigenartige Mischung aus Thomas Münzers Bauernhaufen und leninistischer Kaderorganisation. In Brasilien, das nie eine richtige Agrarreform erlebt hat, haben die Landlosen in den vergangenen Jahren Tausende von Ländereien besetzt. Sie dringen auf Ländereien von Großgrundbesitzern vor, errichten provisorische Hütten und versuchen sich in einem gemeinschaftlichen Leben, das in der Regel allerdings weniger von urkommunistischer Harmonie als von ständigen internen Querelen bestimmt ist. Abgesehen von Armut und Neid macht den Besetzern vor allem die Gewalt der Latifundienbesitzer zu schaffen. Die Fazendeiros heuern nicht selten Killer und Polizisten an, um aufsässige Kleinbauern aus dem Weg zu räumen.
Zubieta unterrichtete in einer provisorischen Schule Mathematik und trainierte die Besetzer im Umgang mit Waffen. Sein Verhalten als edel zu bezeichnen, wäre wohl übertrieben. Aber mir machten die vier Wochen, die ich mit ihm auf der brachliegenden Rinderfarm an einem Nebenarm des Amazonas verbrachte, klar, dass die fanatische Verklärung, mit der Zubieta vom »Befreiungskampf seines Volkes« sprach – so als besäßen alle Bewohner von X einen gemeinsamen Willen und ein großes kollektives Projekt –, nur einen Teil seines Wesens bestimmte. Auch wenn er manche Dinge erschreckend platt darstellte, konnte er in konkreten Situationen umso präziser, menschlicher handeln.
Noch bevor mir der Kellner am Strand meine Cola servierte, begann ich in der Hemdtasche zu kramen, um dem Freund meine Hilfsbereitschaft zu beweisen.
»Deine Kreditkarte,« sagte ich und reichte ihm die Karte hinüber.
Er bedankte sich nicht, fletschte nur die Zähne. »Ach, du arbeitest jetzt bei American Express?«
VIII
Rabbee und ich gehen nicht tanzen. Wir trinken Minztee in einem Café in San Francisco, einem der wenigen Viertel von X, in dem überwiegend Immigranten wohnen, Einwanderer aus Lateinamerika und Nordafrika.
Hamid, der Besitzer, ist Berber. Über dem Tresen steht ein in großen Zeichen geschriebener Wandspruch, er ist in Tifinagh verfasst.
Algerische Berber versuchten in den siebziger Jahren, sich durch eine eigene Schrift von der arabischen Staatskultur zu distanzieren. Weil das lateinische Alphabet als Zeichensystem der französischen Kolonialherren nicht in Frage kamen, griffen sie auf eine Schrift der Tuareg zurück, die sich in alle Richtungen lesen lässt.
Rabbee würde wohl auch das als Ausdruck des identitären Wahns bezeichnen.
Wir setzen uns an einen Tisch in der Nähe des Tresens. Rabbee und der Cafebesitzer reden Arabisch miteinander. Obwohl die Sprache sehr unterschiedliche Dialekte haben soll, macht es nicht den Eindruck, als hätten sie Schwierigkeiten, sich zu verstehen.
Nach einer Weile wendet sich Hamid mit der Frage an mich, wie es meiner Tochter gehe. Obwohl ich nur einmal im Jahr in seiner Bar vorbeikomme, erinnert er sich genau an meine Geschichte.
»Sie ist inzwischen vier Jahre alt«, antworte ich. »Rabbee hat ihr schwimmen beigebracht.«
Ich frage mich, was der Wirt von mir denken würde, wenn er wüsste, was für ein miserabler Vater ich bin.
»Wir waren zusammen in Andalusien«, erzähle ich weiter. »Wir haben über die Meerenge geschaut. Die europäische Grenzpolitik ist ein Verbrechen.«
Der Cafebesitzer blickt mich etwas verständnislos an.
Für einen Moment ist es still.
Dann fragt er, ob wir essen wollen.
Sein Lamm-Couscous ist berühmt.
Wir haben spät Mittag gegessen, aber irgendwie scheint es Rabbee in dem Café zu gefallen. Vielleicht fühlt mein Freund sich hier heimisch, denke ich – nicht ohne Gehässigkeit.
»Gern«, antwortet Rabbee.
»Es ist nicht billig hier«, bemerke ich leise, als Hamid in die Küche geht.
»Billig?« Rabbee zieht die Augenbrauen hoch. »Was hast du jetzt wieder für ein Problem?«
Der Couscous, der uns wenig später dampfend serviert wird, riecht gut und ist hervorragend zubereitet.
Trotzdem schmeckt er mir nicht.
Ich wünsche mir, wie früher mit Freunden durch die Straßen von San Francisco zu streifen, von einer Kneipe in die nächste zu
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