Der bewaffnete Freund
als ich. Um seine Augen herum nur ein leichter dunkler Schatten.
Am nächsten Tag hat der Krampf endlich ein Ende. Ich bringe Rabbee zum Flughafen, der Stadtbus schafft die Strecke in fünfzehn Minuten. Erleichtert hebe ich die Reisetasche auf die Gepäckablage, kaufe beim Fahrer zwei Tickets und folge Rabbee in den hinteren Teil des Autobusses. In den Kurven werden wir weit hinausgetragen, schon nach wenigen hundert Metern ist mir schlecht.
Hinter einem Tunnel zeichnet sich der neue Flughafen von X vor einer kiefernbestandenen Hügelkette ab. Er sieht aus wie die Metro, das Kongresszentrum, das Guggenheim-Museum – Glas, Beton, Stahl; runde Formen. Um die Landebahn herum erstrecken sich Weiden, ein Stück weiter nördlich ahnt man das Meer. Seit X von Hapag-Lloyd-Express angeflogen wird, ist aus dem Provinzflughafen ein kleiner Verkehrsknotenpunkt geworden. Der Flug nach Deutschland kostet an günstigen Tagen gerade zwanzig Euro. Ich hoffe im Stillen, dass Rabbee dies nicht zum Anlass nimmt, mich hier noch einmal zu besuchen.
Der Himmel ist blass: dichte, geschlossene Wolkendecke.
»Die Landschaft ist wirklich schön«, sagt Rabbee. »Und als Stadt ist X auch gar nicht schlecht. Aber die Leute sind gewöhnungsbedürftig. Hässliche Vokuhila-Frisuren und kein Musikgeschmack.«
Ich nicke wortlos. Es hat keinen Sinn, er will nichts verstehen.
Schließlich erreichen wir den Flughafen. An Rabbees Seite betrete ich die Abfertigungshalle. Vor dem Schalter stehen kaum Passagiere, Rabbee gibt seine Tasche ab und wird zur Sicherheitskontrolle weitergeleitet.
Wir verabschieden uns mit einer kurzen, förmlichen Umarmung.
»Ruf mich an«, sagt Rabbee.
Kein Versprechen, keine Erklärungen, nur die Aufforderung, miteinander zu telefonieren.
»Komm mich mal wieder besuchen«, sage ich, wie man das eben so sagt. Rabbee legt seine Tasche auf das Rollband an der Kontrollschleuse und passiert den Metalldetektor. Ohne noch einmal die Hand zu heben, drehe ich mich um und verlasse die Flughafenhalle.
Vor dem Haupteingang denke ich, dass ich jetzt nur noch Hanna und Katharina ein paar Tage ertragen muss und dann endlich meine Ruhe haben werde. Meine Ruhe.
Auf der Rückfahrt im Bus fängt es schon wieder an, leicht zu regnen.
Als ich zu Hause ankomme, kreisen östlich von X Helikopter am Himmel. Ich stelle das Radio an. Im Regionalsender heißt es, ein Vorort werde durchkämmt. Es gebe Hinweise, dass sich der mithilfe einer Verkehrskamera identifizierte Terrorist Laresti – der Name ist mir neu, ich muss mich daran gewöhnen – dort verstecke. Nervös strecke ich den Kopf aus dem Fenster, um den Bewegungen der Hubschrauber zu folgen. Es wäre eigenartig, wenn Zubieta wirklich dort untergeschlüpft wäre. In dem nur wenige Kilometer entfernten Vorort hat er gelebt, bevor er über die Grenze nach Frankreich geflohen ist. Es wäre dumm, ausgerechnet dorthin zurückzukehren. In den Verkehrsmeldungen heißt es, an den Ortseingängen bildeten sich kilometerlange Staus.
So lange sie dort suchen, denke ich, kommen sie nicht auf mich.
Ich hole tief Luft, schaue in den Himmel und lasse den Atem nur langsam wieder entweichen. Die Hubschrauber drehen ab und entfernen sich ein Stück von X. Warum sollten sie überhaupt auf mich kommen? Es ist drei Jahre her, dass ich Zubieta zum letzten Mal eine Kreditkarte geschickt habe. Es wäre völlig absurd, wenn er die abgelaufene Karte immer noch bei sich tragen würde.
Am Mittag soll ich mich in der Universität vorstellen. Am Telefon sagt man mir, mit etwas Glück könnte ich den Professor heute persönlich antreffen. »Salvatore ist gestern aus den Ferien zurückgekommen«, sagt die Sekretärin am anderen Ende der Leitung und fügt hinzu: wie froh man sei, mich mit meinem Projekt begleiten zu dürfen.
Der Philosoph Salvatore und der Sozialwissenschaftler Haberkamm sind locker miteinander befreundet, seit der Spanier vor zwei Jahren einen Aufruf Haberkamms zur Stärkung der europäischen Bürgergesellschaft unterzeichnete. Man müsse die Ansätze einer gemeinsamen Öffentlichkeit zu einer echten europäischen Identität weiterentwickeln, hieß es in dem Appell. Als Grundlage dafür könnten die europäischen Prinzipien der Nachkriegszeit dienen: Primat der Politik gegenüber dem Markt, gesellschaftliche Solidarität, Trennung von Kirche und Staat, Begrenzung staatlicher Gewalt. Die Erklärung erschien zeitgleich in sechs führenden europäischen Tageszeitungen. Ich habe Haberkamms
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