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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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Professor freundlich auf die Schulter, wir verabreden uns für den nächsten Morgen zu einem Besuch im Guggenheim-Museum, und dann bin ich für den Rest des Tages entlassen.
     
    Nachts.
    Ich sehe Zubieta auf einem Balkon stehen. Er holt tief Luft, als wäre er lang nicht an der Küste gewesen und wolle alle Eindrücke aufsaugen. Von der Ferienwohnung, sie scheint in den obersten Stockwerken eines Wolkenkratzers zu liegen, blickt man aufs Meer. Die Sonne steht fast senkrecht, der Schaum auf den kaum bewegten Wellenkämmen strahlt weiß im Licht. Es ist, als wäre er in einem Turm, als blicke er aus dem Himmel herunter. Sorgfältig mustere ich sein Gesicht. Der Freund sieht glücklich aus, dabei weiß er bestimmt, dass ihm nur noch kurze Zeit bleibt. Ich winke zu ihm hinauf, doch er entdeckt mich nicht.
    Beim Aufwachen fällt mir auf, dass wir bei unserer Begegnung darüber, was er in den letzten Jahren gemacht hat, überhaupt nicht gesprochen haben.
     
    Den darauf folgenden Vormittag verbringe ich mit Haberkamm im Museum. Erfreulicherweise stellt er keine Nachfragen zu meiner Arbeit, sondern erkundigt sich nach Hanna. Er will wissen, wie die Kleine die Trennung verkraftet, in ihrem Alter hätten Kinder ein besonderes Bedürfnis nach Stabilität, man dürfe sie in dieser Phase nicht verunsichern. Trotzdem schlägt er mir vor, mich mit Salvatores Unterstützung nach einer Anstellung an einer spanischen Universität umzuschauen. »Ein Auslandsaufenthalt wäre für Ihren Lebenslauf gewiss nicht das Schlechteste.« Der Professor legt an diesem Morgen fast väterliche Fürsorge an den Tag, und für eine Weile macht es mir tatsächlich Spaß, mit ihm durch die Ausstellungsräume zu schreiten und von seinem Allgemeinwissen zu profitieren. Immerhin ist er nicht nur Sozialwissenschaftler, sondern auch Mitglied in unzähligen Stiftungsbeiräten und im Kuratorium des angesehensten deutschsprachigen Verlags. Es gibt kaum ein Thema, über das er nicht schon einmal etwas gelesen oder einen Vortrag gehört hätte.
    Kurz vor zwölf verlassen wir das Gebäude, draußen regnet es leicht. Haberkamm spricht über die architektonischen Entwürfe der verschiedenen Guggenheim-Museen, doch als er mir zur Erläuterung einige Fotos aus dem frisch erworbenen Katalog zeigen möchte, springen wenige Meter von uns entfernt Männer aus einem Mannschaftswagen, maskiert und in Uniformen. Ich zucke zusammen, weil ich für einen Augenblick glaube, dass meine Stunde geschlagen, man von meiner Fahrt mit Zubieta erfahren hat. Doch die Männer laufen an uns vorbei auf eine Menschenansammlung zu. Es sind Sondereinsatzkommandos der Regionalpolizei, von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, einschließlich der Sturmhauben. Auch Haberkamm erschrickt kurz, beruhigt sich aber, als ich ihm erkläre, dass es sich um Sicherheitsorgane handelt.
    Am Vortag sind zwei Gefangene in Haftanstalten bei Madrid tot aufgefunden worden. Die Justizvollzugsbehörden sprechen von Suizid, doch die Angehörigen stellen die offizielle Version in Frage. Einer der Toten wurde mit gefesselten Händen gefunden. Vor diesem Hintergrund sind an diesem Morgen zahlreiche öffentliche Einrichtungen vorübergehend bestreikt worden, vor allem in den kleineren Ortschaften, heißt es, sei es zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen.
    »Diese Toten«, fragt Haberkamm, als ich ihm vom Grund der Demonstration berichte, »das waren Terroristen?«
    »Die beiden sind wegen Unterstützung verurteilt worden«, sage ich.
    »Da sind die Grenzen ja oft fließend«, stellt Haberkamm fest und wendet sich wieder seinem Architekturthema zu. Er schlägt den Katalog auf und beginnt über die »didaktische Bestimmtheit der Form« zu referieren. »Auch Architektur kann bilden«, sagt er, während ich, ziemlich aufgewühlt, den Polizisten hinterher blicke, die gerade den Einsatz von Gummigeschossen vorbereiten.
     
    Haberkamm erwartet nicht, dass ich ihn beim Mittagessen begleite. Ich verabschiede mich am Hoteleingang von ihm und kehre zum Ort der Kundgebung zurück. Die Demonstranten haben sich mittlerweile auf das andere Ufer der Ria zurückgezogen. Ich folge dem Knallen der Gummigeschosse flussaufwärts. Noch am Vorabend habe ich dem Streikaufruf keine Beachtung geschenkt, fast jede Woche hört man solche Ankündigungen. Doch jetzt laufe ich vor Hast schnell außer Atem in Richtung der Demonstration. Mir strömen Passanten entgegen, die sich in Sicherheit bringen wollen. Auf die maskierte Polizei stoße ich vor

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