Der bewaffnete Freund
zwei benützen keine Handys. Trotzdem wissen sie ganz genau, in welchen Ortschaften wie viele Leute auf der Straße waren.
Ich erkundige mich nicht woher.
Laue Nacht.
Selbst im zwölften Stock des Apartmentbaus hört man das Meer rauschen. Ein diffuser Ton, flächig, wie das Flirren eines Bildschirms.
Wir sitzen in kurzen Hosen auf dem Balkon.
Es ist Oktober, immer noch angenehm warm.
Ich erinnere mich an Brasilien, den Abend am Strand von Santarém.
Wir schienen unsterblich.
Zubieta weckt mich vor Anbruch der Dämmerung.
Ich schrecke hoch, weil ich glaube, ein Klopfen an der Tür zu hören, ein Hämmern auf plastiküberzogenem Spanholz. Aber es ist nur der andere Mann, der in die Küche gegangen ist, um Espresso zu machen. Ich suche im Halbdunkel nach meiner Hose, während Zubieta mir in groben Zügen seinen Plan erklärt. Dass wir einen Schlenker durchs Hinterland machen und von dort noch am gleichen Tag Richtung Süden weiterfahren werden, wo ich ihn in einem kleinen Dorf bei Freunden absetzen und nach Hause zurückfahren soll, dass das alles nicht weiter aufregend sei, vielleicht sechshundert Kilometer Fahrt auf Landstraßen und Autobahnen, auf denen so gut wie nie kontrolliert werde, und wir das ganze als gemeinsamen Ausflug betrachten sollten. Ich stelle keine Nachfragen, es ist besser, so wenig wie möglich zu wissen.
Normalerweise – es gibt allerdings auch Ausnahmen. Den Fall jenes jungen Mannes zum Beispiel, der ein Mitglied von Zubietas Organisation von einer Stadt in die nächste fuhr und erst danach aus dem Fernsehen erfuhr, dass sein Begleiter unmittelbar vor der Fahrt einen Richter erschossen hatte. Zwei Jahre später gab das Mitglied, der Terrorist, nach seiner Verhaftung, unter Folter, den Namen seines Fahrers preis. Das Gericht glaubte dem jungen Mann nicht, das Motiv der Fahrt nicht gekannt zu haben, und verurteilte auch ihn wegen Mordes.
Seit drei Jahren, sage ich mich vor, hat die Organisation niemanden mehr getötet.
Wir trinken Espresso mit H-Milch und essen Magdalenas, die Zubieta aus einer Großpackung im Küchenschrank zieht. Im Apartment sind große Mengen haltbarer Lebensmittel gelagert: Dosengemüse, eingefrorenes Brot und Fleisch, Tütensuppen. Man kann sich wochenlang in der Wohnung verstecken, ohne sie verlassen zu müssen. Der Kaffee schmeckt extrem sauer, ohne die fettigen, überzuckerten Magdalenas, die die Säure binden, wäre er ungenießbar.
Zubieta und der Mann namens Pablo machen sich daran, die Wohnung zu säubern. Wischen Böden, Tische, Schränke feucht ab, reiben die Flächen trocken, polieren Tür- und Fenstergriffe. Alle Papiere, die die beiden in den vergangenen Tagen in der Hand hatten, werden verbrannt, die Asche im Klo hinuntergespült. Mein Angebot, ihnen zu helfen, schlagen sie aus. Sie folgen einer festgelegten, eingespielten Prozedur. Als sie fertig sind, fahren wir mit dem Aufzug in die Tiefgarage hinunter, zu meiner Überraschung folgt uns der dritte Mann auch hierher. Ich sperre den Renault auf, etwas verärgert, weil nicht abgesprochen war, dass er mitkommt, und drei Männer in einem Wagen immer Verdacht erregen.
Doch Zubieta, der meine Reaktion bemerkt zu haben scheint, versucht mich zu beschwichtigen. Er erklärt, dass uns der Mann namens Pablo nur ein Stück begleiten werde, höchstens zwei Stunden, weil Zubieta ihm etwas zeigen müsse. Ich hake nicht weiter nach.
Der Dritte, der hinten einsteigt, legt Urlaubsaccessoires ins Wagenheck: Badetücher, Sonnenöl, ein Paar Wanderstiefel, Zubieta setzt sich einen Mexikaner-Hut auf und macht das Radio an. Wir mimen die Sommerfrischler. Als wir aus der Garage rollen, beginnt es über dem Meer zu dämmern, ein purpurroter Sonnenaufgang zeichnet sich ab. Wir jedoch lassen die Küste zurück und fahren ins Landesinnere, Richtung Westen in eine Sierra hinauf.
Schon bald habe ich vergessen, dass der Dritte auf der Rückbank sitzt.
»Hast du es eigentlich nicht satt?«
»Was?«
»Dieses Leben. Die ganze Zeit sinnlos den Kopf zu riskieren?«
Zubieta wendet mir den Kopf zu. Er zögert. Er antwortet mit einer Frage.
»Und du? Hast du dein Leben satt … die Sinnlosigkeit?«
Wenn ich in den Rückspiegel schaue, sehe ich das Meer leuchten. Zubieta hat Recht, es ist idiotisch, diese Frage anderen zu stellen.
»Ich habe Angst«, sage ich schließlich. »Mein Leben verläuft völlig ruhig. Es ist alles andere als gefährlich. Und trotzdem habe ich Angst.«
»… Angst …
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