Der bewaffnete Freund
»Verräterprovinz«. Mit dem Maultier brachte er Öl, Mehl und Wein über die Berge. Der Grundstock des Familienvermögens stammt aus diesen Geschäften.
Am Großmarkt holen mich keine Erinnerungen mehr ein – ein Neubau. Nichts erinnert mehr an die zugige Halle, in der wir im Morgengrauen Kisten schleppten und nach getaner Arbeit immer den gleichen Milchkaffee mit dem gleichen gefüllten Croissant frühstückten. Erst am Stadtrand zucke ich kurz zusammen: An der selben Stelle, an der ich vor einigen Jahren schon einmal stundenlang in einer Polizeikontrolle stand, treffe ich erneut auf die Guardia Civil. Drei Fahrzeuge, drei gepanzerte Jeeps, einer der Beamten hat eine Maschinenpistole geschultert.
Doch es geschieht nichts.
Die Polizisten unterhalten sich gelangweilt.
Achtzig Kilometer südlich der Stadt trifft die Autobahn auf den Ebro, der eintönige Anblick landwirtschaftlich intensiv genutzter Flächen. Abgeerntete Getreidefelder, bewässerte Obstplantagen, kahle, trockene Hänge. Und gelegentlich ein Windpark mit gewaltigen Rotorenblättern. Spanien, heißt es, ist Vorreiter bei der Verbreitung der Windenergie.
Den Treffpunkt, den ich mit Zubieta vereinbart habe, erreiche ich zwei Stunden zu früh. Ich versuche etwas zu essen, doch der Magen revoltiert. Um die Zeit totzuschlagen, gehe ich die Straße auf und ab. Kurz vor drei bin ich an der verabredeten Stelle. Und wieder das gleiche Spiel:
Ein Mann, eine Computerzeitschrift unter dem Arm, eine blaue Tasche über der Schulter, tritt auf mich zu.
Ich, eine gelbe Tüte in der Hand, gehe einige Kreuzungen voraus.
Der Mann folgt mir, holt mich ein, wir kehren zum Wagen zurück.
Wir fahren eine Weile Richtung Landesinnere.
Der Mann, Mitte dreißig, er hat sich als Pablo vorgestellt, sagt, ich soll in einen Schotterweg einbiegen, eine Obstplantage durchqueren, den Wagen hinter den Mauern einer Ruine vor einer Scheune parken.
Ich bleibe sitzen, der andere steigt aus, um den Wagen mit seinem Wanzensuchgerät zu überprüfen. Als er fertig ist, teilt er mir zufrieden mit, dass alles in Ordnung ist.
Alles in Ordnung, wiederhole ich leise.
Wir kehren über die Landstraße zurück Richtung Küste. Das Meer ist hinter den riesigen Apartmentblocks nicht zu erkennen.
Vor einem fünfzehnstöckigen Gebäude, das den Werbetafeln zufolge überwiegend von Engländern, Deutschen und Skandinaviern bewohnt wird, lässt der Mann mich in eine Tiefgarage fahren.
Bevor wir aus dem Wagen steigen, hängt er mir und auch sich selbst feuchte Badetücher um den Hals. Wir durchqueren die Tiefgarage, fahren mit dem Lift in den zwölften Stock.
Die Aufzugtür springt mit einem Klingeln auf. Wir schreiten den Gang hinunter, man hört Neonlampen an der Decke surren, und bleiben vor Apartment 1221 stehen. Der Mann klopft, einmal lang, zweimal kurz. Hinter der sich langsam öffnenden Spanholztür, billiges Teakholzfurnier, entdecke ich das Gesicht von Zubieta.
Der Freund sieht müde aus. Als hätte er tagelang nicht geschlafen.
Wir setzen uns auf den Balkon des Feriendomizils, eines Einzimmerapartments mit größerer Küche.
Zubieta hat gekocht.
Er serviert Pasta in Tomatensauce.
Ich frage, wie die letzten Tage verlaufen sind.
»Okay.«
»Nichts Auffälliges?«
»Hier drin nicht.«
»Hier drin?«
Sie haben die Wohnung nicht verlassen.
Ich schaue ihn verwundert an. »Zwei Wochen lang nur in diesem Zimmer?«
»Wir sind nicht zum Vergnügen hier.«
Offensichtlich.
Warum sie sich allerdings zwei Wochen in einem Ferienapartment verstecken, frage ich nicht.
Als auch nach dem Essen kein rechtes Gespräch aufkommen will, beginne ich von den Kundgebungen nach dem Tod der beiden Gefangenen zu erzählen. Berichte empört vom Einsatz der Gummigeschosse, bis Zubieta den Zeigefinger auf die Lippen legt und mich unterbricht. Er deutet auf den Balkon, der direkt an unseren angrenzt.
Ich frage mich, ob leises Sprechen nicht ebenso auffällig ist wie lautes – so wie das Warten neben einem Auto mit Reifenpanne genauso gefährlich sein kann wie ein Versteck in einem Orangenhain. Doch weil die Frage unnötige Diskussionen heraufbeschwören würde, berichte ich, nun stattdessen tuschelnd, von den Teilnehmerzahlen bei den Protesten. Es stellt sich heraus, dass die beiden Freunde bestens informiert sind.
Zwei Wochen lang haben sie das Apartment nicht verlassen. Im Fernsehen wurde über die Kundgebungen nicht berichtet. Die Wohnung hat keinen Telefon- oder Internetanschluss, die
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