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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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wovor?«
    Ich zucke mit den Achseln.
    »Davor dass man ständig funktioniert … vor der Sinnlosigkeit?«
    Am Ende beantwortet er die Frage doch noch.
    »Es gab schon einfachere Momente.«
    »Du könntest ein ruhiges Leben führen. Ein sinnvolles und trotzdem ruhiges Leben.«
    Zubieta drückt den Kopf gegen die Nackenlehne und atmet tief ein.
    »Obwohl wir mittlerweile zu Europa gehören, ist es bei uns anders als auf dem Rest des Kontinents. Du findest mehr Solidarität, mehr Leute, die was tun. In einer Gewerkschaft, Jugendzentren, einem Nachbarschaftsverein. Glaubst du, das wäre noch so, wenn es die Organisation nicht mehr gäbe?«
    »Klar«, sage ich, »die Leute würden sich eher mehr engagieren, wenn sie nicht ständig mit Anschlägen und Repression konfrontiert wären.«
    »Nein«, antwortet er. »Wir führen der Gesellschaft vor Augen, dass was nicht in Ordnung ist, dass mit der Demokratie etwas Grundsätzliches nicht stimmt.«
    »Und deswegen ist es okay, Leute umzubringen … irgendwelche Gemeinderäte?«
    »Bevor wir Politiker angegriffen haben, ist jahrelang nichts passiert. Alle hatten sich im Konflikt eingerichtet. Eine Demonstration mit 150.000 Leuten, ein in die Luft gesprengter Sendemast – das interessiert niemanden. Die Regierungen in Vitoria und Madrid haben erst verhandelt, als die Situation eskaliert ist. Als immer mehr Leute unter dem Konflikt gelitten haben.«
    Ich schweige. Das Problem ist, dass zumindest eine Sache daran stimmt: dass die Bereitschaft zu einer politischen Lösung immer dann zugenommen hat, wenn die Organisation scheinbare Stärke bewies. »Es ist trotzdem abstoßend. Auch wenn man damit etwas erreicht.«
    »Warum sollen immer nur wir weinen?«
    »Immer nur ihr?«
    »Hat sich bei uns jemand für vierzig Jahre Diktatur entschuldigt?«
     
    Gegen halb zehn, die Sonne ist spät aufgegangen, erreichen wir das Bergland von Cuenca. Pinienwälder, verlassene Höfe, ein riesiger Stausee, der die Obstplantagen und Urlaubssiedlungen an der Küste mit Wasser versorgt. Auf der Halbinsel hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine wundersame Wasserwirtschaft etabliert. In den Halbwüsten des Südens werden Golfplätze angelegt, auf denen Touristen das ganze Jahr über ihrem Sport nachgehen können, die Täler im Landesinneren verwandelt man in Seelandschaften. Die Bewohner der betroffenen Täler werden großzügig entschädigt und umgesiedelt.
    Oder enteignet.
    Nach einer Weile beginnt Zubieta nervös auf das Seitenfenster zu klopfen.
    »Gibt’s ein Problem?«, fragt der Mann auf der Rückbank. Er hat die ganze Fahrt über nicht gesprochen.
    »Hier rechts war das Dorf«, sagt Zubieta schließlich schlecht gelaunt.
    »Hier?«
    Zubieta nickt.
    »Jetzt ist da Wasser.« Der Mann hinten lacht.
    »Genau da ging es runter. In die Dorfmitte, bis zu einer großen steinernen Kirche. Und von da weiter nach Süden.«
    »Tja, der Fortschritt …« Der Mann hinten scheint sich bestens zu amüsieren. »Kaum ist man zwanzig Jahre weg, schon kennt man sich nicht mehr aus.«
    »Scheiß Spanier.«
    »Irgendwo muss das Wasser doch herkommen, das du säufst.«
    »Das Straßenschild!«, ruft Zubieta aufgeregt aus. »Seht ihr das Straßenschild? Da steht sogar noch der Dorfname drauf.«
    »Vielleicht könnten wir hinschwimmen?«
    Ich unterbreche die beiden. »Was machen wir hier eigentlich?«
    Zubieta antwortet kryptisch, dass er einen Schatz heben will, und sagt, dass ich halten soll. Der Wagen rollt auf den Grasstreifen, meine Begleiter steigen aus und gehen zum Ufer des Stausees hinunter. Über den Rückspiegel achte ich auf vorbeifahrende Fahrzeuge, doch die Straße ist leer. Der See liegt friedlich im Tal, bernsteingrün, kein Tourist stört die Ruhe. Ein klarer, strahlender Herbsttag, denke ich, ein herrlicher Ausblick – wie geschaffen, um die letzten Stunden in Freiheit zu verbringen. Ich beginne zu zittern. Eigentlich habe ich ohne die beiden anderen nichts zu befürchten. Ohne sie bin ich nur ein deutscher Urlauber, der die Route durchs Landesinnere gewählt hat. Dennoch versetzt mich das Warten in Panik.
    Bewegungslosigkeit: die Starre des Kaninchens angesichts der Schlange.
    Ich lege den Kopf in den Nacken, presse ihn gegen die Kopfstütze, und plötzlich fällt mir ein Traum ein, den ich in der vorangegangenen Nacht im Apartment geträumt haben muss. Ich bin bei Montserrats Familie auf dem Bauernhof zu Besuch. Ein Sommergewitter zieht auf, es beginnt zu regnen, schwere Tropfen schlagen auf die

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