Der bewaffnete Freund
Montserrats Dorf: langgeschwungene Serpentinen, eine steile Felswand, die sich unerwartet hinter ein paar Bauernhäusern erhebt, der Bach, der in Stufen das Tal hinunter springt. Ich wechsele das Thema.
»Denkst du eigentlich manchmal an Montserrats Familie …? Ich meine, hast du Sehnsucht nach den Sommern dort?«
Zubieta stiert durch die Windschutzscheibe, nachdenklich. Erst zweihundert Höhenmeter tiefer antwortet er – allerdings nicht auf die Frage nach Montserrats Familie.
»Ich kann’s dir wirklich nicht sagen. Ich hab’s versprochen … aber wenn du logisch denkst, gibt’s eigentlich nur drei Möglichkeiten. Entweder wir haben uns hier mit jemandem getroffen, dem wir beweisen wollten, dass wir uns immer noch bewegen können, wie wir wollen …« Zubieta greift in seine Tasche und zieht eine Zigarette heraus.
»Oder …?«, frage ich.
»Oder ich musste aus familiären Gründen über die Grenze.«
Er blickt zum Seitenfenster hinunter, als hätte er die Ähnlichkeit der Landschaft mit dem Tal um G. jetzt auch entdeckt.
»Oder?«
»Oder es ist ein unkonventioneller Fluchtweg, und ich habe nebenbei Geld von unserem Konto abgehoben. Such dir von den drei Optionen diejenige aus, die du am schlechtesten findest …«
»Am schlechtesten?«
»Dann kannst du entscheiden, ob du mich trotzdem weiterfährst.«
»Ich fahre dich auf jeden Fall. Ich kann dich ja schließlich nicht rausschmeißen.«
»Könntest du schon.«
»Du weißt, dass ich das nicht machen würde.«
»Wozu reden wir dann?«
Ich werde laut: »Um zu verstehen, was ich hier mache!«
Unsere Blicke kreuzen sich, einen Moment glaube ich, dass wir uns überwerfen werden. Aber dann sagt der Freund nur: »Stimmt, das mit dem Depot hätte ich dir früher sagen müssen. Aber es hat sich erst gestern so ergeben.«
Die Straße führt am Bachbett entlang, das um diese Jahreszeit kaum Wasser führt, an den Ufern haben sich grüne, von Schaumblasen überzogene Tümpel gebildet. Zubieta stellt das Radio an, auf RNE 3 läuft Club-Musik, leicht sphärisch. Rabbee würde es Cocktailgedudel nennen, aber mir gefällt der Sound, er macht schläfrig. Sogar eine Polizeikontrolle könnte man in dieser Verfassung überstehen: gelassen. Sonnenlicht fällt durch die Baumkronen am Straßenrand, blitzt kurz zwischen den Blättern, in den Kurven hat man das Gefühl, in der Schwebe zu sein, die Böschung am Ufer glänzt hellgrün.
»War schon okay«, sage ich. »Alles, was euch davon abhält, Leute monatelang in Löchern einzusperren, ist okay.«
Ich warte auf die obligatorische Antwort – dass sie im Gegensatz zu ihren Entführungsopfern nicht monatelang, sondern jahrzehntelang in Löchern eingesperrt sind. Aber Zubieta antwortet nicht. Er hat den Beifahrersitz heruntergedreht und sich zurückgelehnt.
Seine Gesichtsfarbe ist noch blasser geworden, kleine Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn, sein Atem geht flach und schnell, beinahe hechelnd.
Ich lasse den Wagen ausrollen und halte am Straßenrand.
XVIII
»Ist dir schlecht?«
»Schon in Ordnung.«
»Lass uns ans Wasser gehen. Da kannst du ein bisschen schlafen.«
»Besser weiterfahren.«
»Du siehst aus, als ob du Fieber hättest.«
Ich lege meine Hand auf seine Stirn, sie ist heiß, und sofort verflüchtigt sich meine Entspanntheit. Ich mache mir Sorgen – um Zubieta, aber auch wegen der Situation.
Ich habe Angst um mich.
»Nicht schlimm«, behauptet der Freund.
»Doch das ist schlimm. Hast du eine Ahnung, was das sein könnte? Was hast du gegessen?«
»Nichts«, er schnauft, »nichts Besonderes.«
»Was soll ich machen?«
Ich denke, dass eine Krankheit das schlimmstmögliche Szenario ist. Mit Zubieta kann ich zu keinem Arzt. In dieser Hinsicht ist er noch übler dran als die Leute, die nachts in Schlauchbooten über die Meerenge kommen. Wenn es ihm richtig übel geht, kann ich nichts unternehmen. Schon ihn in ein Hotel zu bringen, damit er sich ausschlafen kann, ist zu gefährlich.
»Lass uns weiterfahren«, sagt er. »Ich kuriere das aus, wenn wir da sind.«
Obwohl ich seinen Beschwichtigungen nicht traue, fahre ich wieder an. Vorsichtig, damit wir in den Kurven nicht hinausgetragen werden.
»Vielleicht ist es eine Lebensmittelvergiftung … die Tiefkühlkost«, sage ich, »das ist gefährlich. Wenn das Essen bei Stromausfall abtaut und dann wieder einfriert. Kann man sich alles mit einfangen … Salmonellen und den ganzen Mist.«
»Ist nicht der Magen«, antwortet er.
Ich lasse das
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