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Der Beweis des Jahrhunderts

Der Beweis des Jahrhunderts

Titel: Der Beweis des Jahrhunderts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masha Gessen
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eingingen.
    Auch jetzt ließ Hamilton nichts von sich hören. Dass er nicht zu Perelmans Vorlesungen am MIT kam, mag enttäuschend gewesen sein, war aber nachvollziehbar. Doch als Perelman in Stony Brook war, nur anderthalb Stunden von New York City entfernt, wo Hamilton an der Columbia University lehrte, wurde doch registriert, dass er nicht da war, zumal andere New Yorker Mathematiker gekommen waren. Einer von ihnen, John Morgan, lud Perelman für das Wochenende zu einem Vortrag an die Columbia ein. Perelman sagte zu, und außerdem erklärte er sich bereit, am gleichen Wochenende einen weiteren Vortrag zu halten, und zwar in Princeton.
    Dies tat er am Freitag, dem 25 . April. Wieder machte ihm die Universität ein Angebot, wieder lehnte Perelman ab. Am Samstag sprach er in der Columbia University. Hamilton kam und blieb auch zur Diskussion nach der Mittagspause – und zwar so lange, bis nur noch er, Perelman, Morgan und Gromow, der zu dieser Zeit am Courant arbeitete, im Raum waren. »Alle warteten darauf, dass Richard sagt, ob es funktioniert oder nicht«, erzählte Morgan. »Es ist seine Theorie, seine Idee. So muss man es machen. Ganz klar, er ist derjenige, der das Urteil zu fällen hat.«
    Und, hat er sich diesbezüglich geäußert? Hier wird es kompliziert. »Richard war von Anfang an bereit, anzuerkennen – und tat es auch –, dass das, was im ersten Artikel stand, richtig ist und einen großen Fortschritt darstellt«, sagte Morgan, der nun seine Worte sehr vorsichtig wählte, um keinen Kollegen in Misskredit zu bringen. Der erste 235 Artikel handelte ausschließlich vom Ricci-Fluss, also von Hamiltons Erfindung und damit dem Gebiet, das ihm durch und durch vertraut war. Im zweiten Artikel ging es um den Ricci-Fluss mit Chirurgie, ebenfalls Hamiltons Erfindung, aber von Perelman kombiniert mit Alexandrow-Räumen und Ergebnissen aus seiner Arbeit mit Gromow und Burago. Auf diesem Gebiet war Hamilton nicht so sattelfest, was der Grund dafür gewesen sein mag, dass er sich nicht ganz so überzeugt zeigte und vielleicht sogar im Stillen ein wenig hoffte, Perelman sei doch gescheitert. »Ich glaube, er dachte vielleicht, ›das ist falsch‹«, so Morgan, »›und wenn es falsch ist, dann habe ich eine Chance nachzulegen‹. Er hielt sich meines Erachtens mit seinem Urteil zurück und wartete ab.« Wenn Perelman in seinem zweiten Artikel die Sache möglicherweise in eine falsche Richtung gelenkt hatte, dann konnte jemand anderer – vor allem Hamilton selbst – auf dem bahnbrechenden Ergebnis von Perelmans erstem Papier aufbauen. Das alles ist jedoch bloße Spekulation: Jedes Mal, wenn Hamilton zu Perelmans Arbeit öffentlich Stellung genommen hat, tat er dies auf eine sehr liebenswürdige Art; er tat es einfach nur weitaus weniger häufig, als viele – auch Perelman selbst – vielleicht erwartet hatten.
    An diesem Tag »ging es höflich zu« an der Columbia, »aber distanziert«, wie sich Morgan erinnert. »Es gab keine offenen Spannungen, und Grischa verhielt sich nicht aggressiv. Von außen sah es aus wie jede andere Diskussion über Mathematik: Ideen gingen hin und her. Anders gesagt, was immer hinter Richards Distanziertheit gestanden haben mag, in diesem Gespräch jedenfalls machte er einen ganz normalen Eindruck.«
    236 Morgan lud Perelman für den nächsten Vormittag zum Brunch zu sich nach Hause ein. »Und er fragte: ›Wer wird dabei sein?‹ Ich sagte: ›Nun, meine Frau, meine Tochter, vielleicht lade ich noch ein paar andere Leute ein.‹ Darauf erwiderte er: ›Ach nein, besser nicht.‹ Ich deute das so, dass er vielleicht gekommen wäre, wenn es ein Treffen unter Mathematikern gewesen wäre. Aber ein soziales Ereignis, daran war er überhaupt nicht interessiert.« An diesem Tag ging Perelman mit Gromow in New York spazieren und sprach mit ihm über die Poincaré-Vermutung sowie über seinen Konflikt mit Burago. Dann fuhr er nach Brighton Beach, wo seine Mutter wohnte. Am nächsten Abend wollte er wieder in Stony Brook sein, um dort noch eine Woche lang zu lehren und zu diskutieren.
     
    Perelman kam entmutigt nach Stony Brook zurück. Zu Anderson sagte er, er sei enttäuscht über das Niveau der Fragen, die Hamilton ihm gestellt habe: Der Erfinder des Ricci-Flusses hatte sich offensichtlich nicht die Zeit genommen, um sich intensiv mit Perelmans Beweis zu beschäftigen. Die Motivlage hierfür wird aller Wahrscheinlichkeit nach komplex gewesen sein: Hamilton war hin und her gerissen, ob er

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