Der Bienenfresser
nach Hause geschickt hatte. Ja, die Beinverletzung, und deshalb haben Sie Laflör zwar mit Ihrer Frau erwischt, Sie haben ihn aber nicht verfolgen können. Jedenfalls nicht schnell genug. Zu Laflörs, aber auch Ihrem eigenen Glück. Denn womöglich hätten Sie ihn in Ihrer Wut erschlagen, so aber haben Sie sich nur geschworen, dass Laflör eines Tages dafür büßen sollte.
Und die Gelegenheit zur Rache kam dann ja auch.«
Ich holte die Fotos aus der Hülle, die ich am Tatort geschossen hatte. Sie zeigten Laflörs Haus mit dem frei stehenden Taubenhaus. Auf dem ersten Bild waren in einem Fenster ein Gesicht und auf dem Dach eine Taube zu erkennen.
Beim zweiten Foto fehlte die Taube.
»Wohin ist sie geflogen?«, fragte ich Kallmeyer.
Er hob die Schultern.
»Ich will es Ihnen sagen: Die Taube ist zu ihrem Besitzer geflogen und hat sich auf den Gewehrlauf gesetzt. Muss ein komisches Bild gewesen sein. Jedenfalls haben Sie und Bodach lauthals gelacht, hören konnte man es nicht, aber Frau Laflör, die am Fenster stand, hat sie beide lachen gesehen und sie hat auch gesehen, wie ihr Mann, weil er sich lächerlich vorkam, versucht hat, die Taube durch ruckartige Bewegungen abzuschütteln. Und bei diesem Schütteln mit dem Gewehrlauf hat sich der Schuss gelöst.« Ich sah Kallmeyer in die Augen.
»So war es, genau so. Ein Unfall! Und das hätten Sie auch bei der Polizei ausgesagt, bei jedem anderen, aber nicht bei Laflör.
Denn sicher ist Ihnen in diesem Moment durch den Kopf gegangen, dass Sie mal zu früh von der Schicht nach Hause gekommen sind und Laflör mit Ihrer Frau überrascht haben.
Und deshalb haben Sie bei Ihrer Aussage den Umstand, dass die Taube den Schuss ausgelöst hat, einfach weggelassen.«
Es war eine Mischung aus Recherche und Mutmaßung, aber ich brachte sie mit Überzeugung vor. Ich hob meine Stimme:
»Widerrufen Sie Ihre Aussage, es geht um die Gerechtigkeit.«
»Gerechtigkeit!«, brüllte Kallmeyer. »Der hat doch hier abgesahnt bei der Sanierung, hatte überall seine Finger dazwischen; kassiert hat er von der Wohnungsgesellschaft, von der Baufirma, von den neuen Mietern und von uns
Alteingesessenen. Von was hat der wohl sein pompöses Haus bezahlt? Gearbeitet hat der jedenfalls nie. Mit den Frauen hat er rumgemacht und bei dem Geschmuse hat er rausgekriegt, wie die Lage war, wo einem Kumpel das Wasser bis zum Hals stand. Ein Frauenversteher, ein Tröster ist er. Reden schwingen, das kann er – Identität einer Region, ha! Und Beziehungen hat er«, Kallmeyers großer Daumen wies an die Decke, »Beziehungen bis nach ganz oben.«
»Wahrscheinlich ist er ganz normal als Makler tätig.«
»Weiß ich doch nicht, Sie sind doch der Schnüffler. Und jetzt mach die Fliege, Freundchen, ehe ich richtig wütend werde.
Der Herr La Flööhr soll schmoren, fertig. Meine Aussage steht, der hat meinen Kumpel umgebracht. Nix Unfall!«
»Wenn schon nicht um der Gerechtigkeit willen, vielleicht könnte ja eine kleine Entschädigung Sie dazu bringen, Ihre Aussage nochmals zu überdenken.«
Kallmeyer legte eine Hand hinters Ohr. »Ich höre, sag eine Zahl!«
»Zwanzig.«
Er schien zu überlegen, was er alles dringend brauchte, ein neues Auto, eine Stereoanlage, ein Superspitzentaubenpärchen aus Belgien. »Zwanzig Mille.« Er sprach gedehnt, knetete die dicken Hände und nickte abschließend. »Zwanzig Mille.«
»Mille? Zwanzig habe ich gesagt, und das meine ich auch.«
Aufreizend betont fügte ich hinzu: »Zwanzig Mark! Das reicht doch für einen Kasten Bier. Denn die Aussage der
Augenzeugin hinter dem Fenster plus der Beweismittel, die ich hier habe, das allein müsste schon genügen.«
Als ich nach den Fotos griff, holte er aus zu einem gewaltigen Schwinger, der einen Ochsen gefällt hätte, wenn er ins Ziel gekommen wäre.
Wenn. Viel zu lange avisiert, viel zu weit ausgeholt, ich duckte mich und Kallmeyers Faust krachte in die Vitrine. Die Pokale purzelten heraus. Einen davon schnappte ich mir, den nächstbesten, es war vielleicht nicht der wertvollste in seiner Sammlung, aber sicher einer der schwersten. Ich hieb ihm das Ding ins Kreuz. Der Vorsitzende des Taubenzüchtervereins versuchte noch ein paar Schläge, doch der Alkohol hatte ihn langsam gemacht.
Es lohnte sich, nüchtern zu bleiben, wenn ein anderer trinkt.
Andernfalls wäre ich meinem Gegner wohl kaum gewachsen gewesen. Da lag er nun im Sessel und ließ die Flügel hängen wie eine kranke Taube. Eigentlich kein schlechter Kerl,
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