Der Bierzauberer
länger zu bleiben als geplant. Die Stadt und alles andere, bis aufs Essen,
gefielen ihm sehr gut und die Geschäfte ließen sich gut an. Er war sicher, dass
Mosche und Salomon in Köln alles im Griff hatten. Er schickte Nachrichten und fragte
nach, wie die neue Saison begonnen hatte. Immerhin war er schon fast ein halbes
Jahr weg. Er bestellte außerdem noch Nachschub von seinem englischen Bier. Dieser
aber blieb genauso aus wie Nachrichten von seiner Brauerei. Stattdessen hörte er
sehr beunruhigende Meldungen, nicht nur aus Köln, sondern aus allen Gegenden, von
Freiburg bis Xanten.
Sofort
machte er sich auf die Heimreise. Aber er kam zu spät. Das Unfassbare war bereits
passiert.
27
Das Geschwätz auf der Straße hatte sich zum Irrsinn
gesteigert. In Köln hatte es einige neue Fälle von Lepra gegeben. Diese, zusammen
mit allen brodelnden Gerüchten über Schwefel, Hungersnöte und Pestilenzen, hatten
die Menschen alle Vernunft vergessen lassen. Man suchte einen Schuldigen. Und hatte
ihn schnell gefunden. Es wurde nun behauptet, die Juden hätten die Aussätzigen,
die Leprakranken, bestochen, um die Wasserbrunnen zu vergiften. Sie hätten von diesen
Haut, Gewebe, Blut und Harn genommen, in einen Teig geknetet und kleine Kugeln daraus
in die Brunnen geworfen. Und daraus wäre dann die Seuche entstanden.
Untermauert
wurden diese Verleumdungen mit der Behauptung, die Juden tränken kein Brunnenwasser,
weil sie um die tödliche Gefahr wüssten.
Natürlich
erzählte niemand dies in aller Offenheit, nur hinter vorgehaltener Hand.
Es fehlte
nur noch der letzte Funke, um alles in Brand zu stecken. Und eines helllichten Tages
Anfang 1311 verfinsterte sich die Sonne in Form einer Korona, die Menschen erstarrten,
schauten zum Himmel und verfolgten wie gebannt das Schauspiel, das sich ihnen dort
bot. Dieses war in der Tat furchterregend. Das Zentrum der Sonne war schwarz, nur
ein Ring am Rand loderte hell wie eine Fackel. Der Sonnenring versetzte alle in
Raserei.
»Das ist
das Zeichen der Apokalypse, das Ende ist nah!«
»Setzt
dem schändlichen Treiben der Antichristen ein Ende, bevor es zu spät ist!«
Und so
brach der Kölner Mob auf, um die zu bestrafen, die für schuldig befunden waren.
Bernard
sah seinen Moment gekommen, seine Sternstunde sollte gleichzeitig, trotz dessen
Abwesenheit, Niklas’ schwärzeste Stunde werden.
Der Wahnsinn
begann am Severinstor. Neben den Juden wurden die Wahrsager und Kräuterfrauen, die
dort am Kirchplatz ihre Geschäfte machten, gleich mitgeschleift und es wurde ihnen
von der johlenden Meute der Prozess gemacht.
Ein einfaches
Holzgerüst wurde auf dem Kirchplatz aufgestellt und die ersten Juden, die man fand,
sowie drei Kräuterfrauen wurden sofort bei lebendigem Leib verbrannt.
Als Nächstes
wollte man Geständnisse. Zwei Wahrsager und zwei Juden wurden auf Holzböcke gebunden
und gemartert. Man schnitt ihnen die Waden auf und goss siedendes Pech hinein, verbrannte
ihnen die Fußsohlen und stieß ihnen heiße Nägel in die Finger. Die Qualen waren
entsetzlich, die Gepeinigten gestanden alles, was sie gefragt wurden, nur um endlich
erlöst zu werden. Der Mob nahm die Geständnisse johlend auf, tötete die Gefolterten
und machte sich auf den weiteren Weg durch die Kölner Straßen.
Sengend
und mordend zogen sie durch das Judenviertel. Dann kamen sie durch die Große Budengasse.
Das Schild mit dem Hexagramm hing außen vor der Brauerei, in der zu diesem Zeitpunkt
Mosche und Salomon mit Biersieden beschäftigt waren. Unter den Wortführern des Mobs
war nicht nur der Brauer Bodo aus der Schildergasse, sondern auch ein hagerer Mann
in einer alten, abgewetzten Mönchskutte mit einer großen Narbe auf der Stirn.
Er geiferte
lautstark:
»Seht
her, schaut euch das Zeichen hier an, der Brauer Niklas ist nicht nur ein Teufelsbrauer,
sondern ein heimlicher Jude«, wohl wissend, dass der Pöbel zu solch feinen Unterscheidungen
momentan nicht fähig war.
»Und ich
habe gehört, in seinem Bier seien schon Leprakugeln gefunden worden. Er macht mit
den Juden gemeinsame Sache. Und er und seine Buhle sollen darüber hinaus des Zauberns
verdächtig sein. Zahlen wir es ihm heim!«
Alle stimmten
ein.
»Zerstört
seine Braustube!«
»Hexenbier
vom Antichristen, macht der Gottlosigkeit ein Ende!«
»Schlagt
ihn tot!«
»Sucht
seine Buhle und hängt sie auf!«
Die aufgeregte
Meute stürmte das Brauhaus. Als Erste mussten der Brauknecht Bruno und die Brühfrau
dran glauben, die einfach
Weitere Kostenlose Bücher