Der Bierzauberer
Käse oder Schinken.
Dann machte
er sich daran, London zu erkunden. Zuerst besuchte er den Tower. Der war Festung,
Waffenkammer, königlicher Palast und Gefängnis in einem. Schon über 200 Jahre alt,
war es eines der ältesten Gebäude Londons. Ursprünglich gedacht, um die Normannen
vor den Londonern zu schützen, waren die Londoner mittlerweile sehr stolz auf diese
uneinnehmbare Festung, die bereits das Wahrzeichen Londons geworden war.
Die große
Kathedrale von St. Paul war zwar bereits vor zehn Jahren eingeweiht worden, am Langhaus
wurde jedoch immer noch gebaut. Sie war eine der größten und längsten Kirchen aller
Zeiten, ergriffen stand Niklas vor diesem monumentalen Bauwerk mit seinem 150 Meter
hohen Turm. Dann kehrte sein Realitätssinn wieder und er dachte: Bald haben wir
in Köln eine Kathedrale, die wird größer und vielleicht sogar höher.
Zum Schluss
schaute er noch die Krönungskirche ›The Collegiate Church of St. Peter‹ in Westminster
an, die von allen Londonern nur ›Westminster Abtei‹ genannt wurde. Alle englischen
Könige wurden hier, in der ältesten Kirche Londons, gekrönt und ebenso begraben.
Auch die
Westminster Abtei war eine Baustelle, nicht ganz so groß wie die in Köln, und die
englischen Bauarbeiter sprachen dem Bier genauso reichlich zu.
Niklas
sprach mit ihnen, trank mit ihnen und versuchte herauszufinden, wie man den Bierdurst
dieser tüchtigen Trinker noch steigern könnte. Dabei erfuhr er manch kuriose Eigenart
der Engländer, darunter ein paar lustige und einige, bei denen er sich mit Grausen
abwandte.
Da das
Klima in England für Wein nicht geeignet war, von einigen kleinen Winzern in Kent
abgesehen, war der größte Konkurrent für Bier der Schnaps. Die Engländer destillierten
bereits ›aqua ardens – brennendes Wasser‹ in großem Maßstab. Alles, was sich irgendwie
vergären ließ, egal, ob Getreide, Rosskastanien oder Zuckerrüben. Sogar etwas, was
ihm als ›Reis‹ bekannt gemacht wurde, wurde vergoren. Der Schnaps schmeckte scheußlich,
scharf-bitter und aufdringlich brannte er in der Kehle, man brauchte aber nur wenig,
um ziemlich betrunken zu sein. Vor allem fiel ihm auf, dass dieses ›aqua ardens‹
in all seinen Spielarten eine andere Art der Betrunkenheit verursachte. Die Menschen
sahen rot und ungesund aus, wurden streitsüchtig und regelmäßige Trinker verfielen
schnell und wurden richtiggehend blöde.
Dennoch
merkte sich Niklas diesen Reis. Er wollte mehr darüber herausfinden und sehen, ob
er eventuell zur Bierherstellung geeignet war.
Ganz besonders
faszinierte ihn aber ein Getränk, das die Engländer ›aqua vitae‹oder in
ihrer alten, gälischen Sprache›uisge beatha‹ nannten. Die Iren, eingeschworene
Feinde der Engländer, hatten sich damit vor jeder Schlacht zusätzlich motiviert.
Die Engländer waren beeindruckt von der Tapferkeit dieser irischen Kämpfer, und
so hatten sie inzwischen Mittel und Wege gefunden, dieses Lebenswasser auch in London
verkaufen zu können. Was Niklas so faszinierte, war, dass diese klare, farblose
Flüssigkeit auch aus Malz hergestellt wurde und sogar nach Malz roch. Ob sie auch
nach Malz schmeckte, konnte Niklas nicht feststellen, denn als er den ersten Schluck
nahm, verbrannte er sich fast den Rachen. Er hustete und spuckte, die Engländer
lachten.
»Es brennt
wie die Hölle, aber mein lieber Niklas, ich sage dir: Ein Glas am Tag und du brauchst
keinen Medicus. Das ist die beste Medizin auf der ganzen Welt. Schade nur, dass
es anscheinend außer den dreckigen Iren niemand richtig zu machen versteht«, sagte
der Wirt des ›Royal Oak‹, den alle nur Oak, die Eiche, nannten. Niklas verbrachte
eine Nacht, in der er mit Oak und anderen Wirten nur ›uisge beatha‹ trank, anstatt
sein Hopfenbier zu genießen. Am nächsten Morgen hatte er den schlimmsten Kater seines
Lebens und schwor sich, nie wieder zu viel von diesem Lebenswasser zu trinken und
sei es noch so gesund. Trotzdem wollte er nach seiner Rückkehr nach Köln anfangen,
mit diesem Getränk zu experimentieren.
Es gab
Bräuche in London, die ihm sehr gut gefielen. Waren die Totenwachen in Deutschland
bisweilen schon sehr feuchtfröhlich, hielten die Engländer diese mindestens doppelt
so lang ab. Sie nahmen das Wort ›Wache‹ nämlich äußerst wörtlich und mussten bei
einer ›Wake‹ tagelang neben dem Toten sitzen bleiben, um zu sehen, ob er nicht vielleicht
doch wieder aufwachte. Da wurde so manches Fass Bier geleert.
Niklas
beschloss,
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