Der Bierzauberer
konnte.
Die letzten
vier Monate seines ersten Jahres gefielen ihm überhaupt nicht. Reginald war ein
schweigsamer Mann, der auf die 50 Jahre zuging. Seine kleinen Knopfaugen ließen
ihn verschlagen dreinblicken, er ging immer leicht geduckt, so, als fürchte er sich.
Dadurch wirkte er wie ein Buckliger. Wenn er gerade ginge, würde er alle drei jüngeren
Brauer leicht überragen.
Am auffälligsten
jedoch waren seine Hände. Ob durch harte Arbeit oder zu viel Bier und fettes Essen
erworben: Die knochigen, langen Finger waren überzogen mit hässlichen Gichtknoten.
Seine Haltung beim Gehen hing ebenfalls mit der Gichtplage zusammen.
Reginald
hatte anscheinend nicht verwunden, dass junge Mönche wie David und Dieto ihn in
der Hierarchie der Brauer so leicht überrundet hatten. Ständig ließ er seine schlechte
Laune an den Braugehilfen wie Niklas aus.
Selten
kamen Besucher, weil seine unfrommen Verwünschungen allseits bekannt waren. Diese
hatten sogar schon zu Ermahnungen von Seiten des Abtes geführt. Nach Ablauf des
Jahres 1271 wechselte Niklas zu Davids Brauhaus. Weitere vier Monate später teilte
Notker Niklas dann ganz offiziell David und Dieto zu.
Alle verstanden
sich zusehends schlechter mit Reginald, deswegen wurde bald nach dem Ende von Niklas’
Probezeit eine Neuordnung beschlossen.
Niklas
übernahm die Führung des dritten, kleinsten Brauhauses von Reginald.
Reginald
wurde angehalten, sich um den Ausschank des Bieres zu kümmern sowie mehr in der
Mälzerei zu arbeiten.
Er sollte
sich in Zukunft von der Produktion des Bieres fernhalten.
Damit
er allen wirklich aus dem Weg gehen konnte, bekam er eine eigene Kammer hinter den
Bäckereien zugeteilt.
Alle außer
Reginald waren froh über diese neue Regelung.
Niklas
wurde mehrmals ermahnt, das dritte Brauhaus in Zukunft so gut zu führen, dass niemand
sich darüber beschweren könnte.
Und er
zeigte sich dieser Aufgabe mehr als gewachsen.
Reginald
verschwand fast gänzlich aus den Brauhäusern. Er tauchte nur gelegentlich auf, nahm
dann immer einen Eimer Maische oder Bier mit in seine Kammer, ohne zu sagen, was
er damit machen würde.
Dieto,
David und Niklas hielten den Mund, um Streit mit Reginald zu vermeiden.
Das Kloster
St. Gallen in einem Kupferstich von Matthias Merian, 1642 (Ausschnitt)
16
Im Frühjahr 1272 brachte ein
Bote ein Paket für Niklas ins Kloster. Auf dem beiliegenden Brief stand nur lapidar
›An den Praxator-Bruder Niklas im Kloster St. Gallen‹. Der Brief kam vom zuständigen
Vogt für die Umgebung von Ravensburg.
›Wir haben
unter dem Nachlass von Heinrich dem Molinarius dieses Buch gefunden. Es war für
den Bruder Niklas bestimmt, der, wenn Heinrichs Tochter Hochzeit feiern würde, ein
Fuder Bier brauen sollte.
Die Hochzeit
wird nicht stattfinden, denn Heinrich und seine gesamte Sippe sind im letzten Monat
an der Hadernseuche verschieden. Da ebenfalls alle Männer und Frauen, die in der
Papiermühle gearbeitet haben, an der Hadernseuche gestorben sind, hat der ehrwürdige
Landvogt die Papiermühle als Quelle des Übels ersehen.
Die Mühle
wurde bis auf die Grundmauern verbrannt. Das Eigentum von Heinrich wurde dem Landvogt
zugesprochen. Aus Ehrerbietung gegenüber dem Kloster St. Gallen schenke ich Euch
dieses Buch, welches Euch zugedacht war. Ihr könnt es beruhigt anfassen. Wir haben
alles aus dem Nachlass des Molinarius, was von Wert war, mit geweihtem Wasser gewaschen,
um das Böse zu vertreiben, das an ihm haftete.‹
Niklas
öffnete das Paket und fand ein dickes, neues Buch in einem einfachen, aber schönen
Ledereinband. Die Seiten waren exakt und sauber geschnitten.
Hier könnte
ich eines Tages meine Brauer-Geheimnisse hineinschreiben, dachte Niklas. Wenn ich
lange genug lebe.
Er schickte
einige Gebete zum Himmel im Gedenken an Heinrich den Molinarius und seine Familie.
Das Buch
wickelte er in ein großes, schweres Wachstuch und hob es wie eine Kostbarkeit auf.
Die Arbeit
mit Bruder David machte ihm große Freude. Er lernte zum ersten Mal nicht nur durch
Zuschauen und Erklärungen des Älteren, sondern erfuhr, wie man beim Brauen alle
einzelnen Arbeitsschritte beschreiben und damit auf eine Basis der Vernunft stellen
konnte.
Er lernte
die Namen für alle Werkzeuge, die sie benutzten. Einige von ihnen waren so speziell,
dass nur die eingeweihten Brauer wussten, was gemeint war. In den anderen Klöstern
hatten sie meistens nur auf den gewünschten Gegenstand gedeutet, wenn einer
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