Der Bierzauberer
nächsten
Morgen fand man den dritten Toten.
Niklas
machte sich schwere Vorwürfe.
Er glaubte,
wenn er stark genug gewesen wäre, hätte er zumindest den dritten Mord verhindern
können.
19
Drei Wochen danach war Bernard
wieder da.
Die Untersuchungen
zum dritten Mord verliefen zuerst wieder im Sande. Reginald hatte aber anscheinend
bemerkt, dass ein, wenn auch nur leichter, Verdacht auf ihn gefallen war. Er verhielt
sich ungewohnt freundlich zu allen, war hilfsbereit und tat alles, um jeden Verdacht
von sich abzulenken.
Dann denunzierte
er heimlich Ludger, einen älteren Mönch, der wechselweise im Weinkeller und in der
Backstube aushalf, bei Bernard und behauptete, ihn bei dem zweiten Mord auf frischer
Tat ertappt zu haben.
Bernard
ließ ein Gästehaus räumen, baute dort mit seinen Gehilfen die Geräte auf, die sie
zur peinlichen Befragung benötigten, und lud den armen Ludger zum Verhör.
Die Schreie
gellten durch das ganze Kloster und gingen allen durch Mark und Bein. Sie dauerten
jedoch nicht lange, nach zwölf Stunden Verhör hatte Ludger alles gestanden, nicht
nur die drei Morde, sondern auch Sodomie, Unzucht mit dem Teufel sowie weitere Todsünden,
und bat nur noch wimmernd darum, von seinen Sünden und seinen Leiden erlöst zu werden.
Am nächsten
Sonntag bereits wurde er auf dem Scheiterhaufen im Klosterhof bei lebendigem Leib
verbrannt, und Bernard konnte, triumphierend über diesen sichtlichen Erfolg, zufrieden
abreisen.
Der Gestank
des verbrannten Fleisches lag noch einige Tage lang über dem Klosterhof, wie, um
die St. Galler Brüder an die Macht der Inquisition zu gemahnen.
Niklas
war rastlos und ratlos. Sein Gewissen quälte ihn, er betete mehr und intensiver
als jemals zuvor in seinem Leben. Niemand stand ihm jedoch nahe genug, mit dem er
sein Wissen teilen und Reginald schließlich seiner gerechten Strafe zuführen konnte.
Er versuchte, sein Mitwissen, welches er als Mitschuld sah, zu verdrängen, so gut
es ging.
Nachdem nun scheinbar Ruhe
einkehrte, kam auch die Normalität zurück. Gäste aus ganz Europa suchten die Gastfreundschaft
von St. Gallen. Die Brauerei mit ihren drei Brauhäusern florierte und der Ruhm des
St. Galler Bieres verbreitete sich bis weit über die Grenzen.
Dieto,
David und Niklas wurden vom Tagesgeschäft des Bierbrauens so in Anspruch genommen,
dass weniger Zeit als im Vorjahr für ihre Diskussionen über Verbesserungen der Brautechnik
und das Ethos der ›Reinen Brauer‹ blieb.
Und wenn
sie zusammensaßen und einander Geschichten erzählten, wurde die Zeit nie lang.
Einmal
hörte Niklas einen Namen, den er zuletzt in Urbrach gehört hatte. Dieto hatte gerade
einen äußerst nahrhaften Trinkspruch auf das Cervisa Melitta ausgebracht:
»Das Bier
aber macht das Fleisch des Menschen fett und gibt seinem Antlitz eine schöne Farbe
durch die Kraft und den guten Saft des Getreides!« Dieto und David lachten, David
sagte: »Jaja, die gute Hildegard von Bingen, die hatte eine Menge vom Bier verstanden.«
In St.
Gallen gab es tägliche Zuteilungen für die Mönche von sieben Mahlzeiten mit reichlich
Brot sowie fünf Zumessungen Bier.
Kein Wunder,
dass Mönche, die körperlich weniger anstrengende Tätigkeiten hatten, schnell auch
einmal fetteres Fleisch auf den Rippen und eine rosigere Farbe im Gesicht hatten,
als es Hildegard von Bingen gefallen hätte.
Nach dem
vierten oder fünften Krug ergötzten sich die drei dann an mehr oder weniger frommen
Erzählungen, die meist mit Bier zu tun hatten.
Wie die
vom heiligen Columban, der im sechsten Jahrhundert gelebt hatte. Die Antwort zweier
Mönche auf seine Frage nach ihrer Ernährung lautete, dass sie täglich zwei Brote
und ein bisschen Bier verzehren würden.
»Zwei
Brote und ein bisschen Bier – die Armen!«, lachte Dieto. »Die sollten mal zu uns
kommen!«
Dann erzählte
David über Columbans wundersame Vermehrung dieser wichtigen Lebensmittel: »Vater,
wir haben nichts als zwei Brote und ein wenig Cervisa; aber alle tranken und aßen,
bis sie satt waren, und die Körbe und Krüge wurden voller, statt sich zu leeren.«
Und sie
lachten, bis sie nach Luft schnappen mussten, und leerten schnell den nächsten Krug.
Manchmal
zweifelte Niklas, ob er sich den Verdacht gegenüber Reginald nicht ausgedacht hatte.
Dann ging er in den Raum über Reginalds Kammer, schaute durch den Spalt und vergewisserte
sich, dass er nicht geträumt hatte.
Im Sommer
traf er Reginald einmal beim Trinken im Bierkeller für die
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