Der Bierzauberer
durstig‹
1
Sein erster Weg aus St. Gallen
hinaus führte ihn nach Hause, zum Dorf seiner Kindheit.
Das Jahr
1273 ging dem Ende entgegen. Er war jetzt im 26. Lebensjahr und seit fast fünf Jahren
nicht mehr in Hahnfurt gewesen. Während seiner Zeit in Urbrach hatte er einmal im
Jahr seine Familie besuchen dürfen, während sie ihn einmal im Jahr im Kloster sehen
konnte. Sogar während der Zeit in Weihenstephan war er zweimal nach Hause gereist.
St. Gallen
war einfach zu weit weg gewesen.
Während
Urbrach nur zwei Tagereisen von Hahnfurt entfernt lag, war es nach Weihenstephan
immerhin schon ein Weg von fünf Tagen. Die zehn Tage nach St. Gallen hätten einen
Reiseaufwand von etwa drei Wochen allein für Hin- und Rückweg bedeutet. So lange
hatte er nicht fortbleiben können.
Wie bisher
fast immer, reiste er auch diesmal allein. Er war arm, doch groß und kräftig und
konnte sich seiner Haut gut erwehren.
Das Wetter
war die meiste Zeit über schlecht, schlammige Straßen erschwerten das Weiterkommen.
Immer wieder sah man wohlhabende Reisende, die mit ihren Kutschen stecken geblieben
waren.
Zu Fuß
zu reisen war zwar schmutziger und unbequemer, aber Niklas zog diese Art der Fortbewegung
wegen der weitgehenden Unabhängigkeit vom Wetter und anderen Widrigkeiten allen
anderen, zudem auch teureren, vor.
In der
Nähe von Donauwörth erlebte er die Pest zum ersten Mal aus nächster Nähe. Er hatte
von dieser furchtbaren Geißel Gottes gehört, nur gehofft hatte er, sie niemals am
eigenen Leib erfahren zu müssen.
Ein ganzes
Dorf auf seinem Weg war Opfer des Schwarzen Todes geworden. Menschen kamen ihm entgegen
und warnten ihn davor, hier weiterzugehen. Süßlicher Verwesungsgeruch hing in der
Luft, vermischt mit dem Rauch brennender Hütten.
Einige
fragten ihn nach seinem Weg und wollten sich ihm anschließen:
»Die Luft
in unserem Dorf ist durch Miasmen verseucht, die Pest ist nicht mehr zu vertreiben.
Im Sommer war die Sonne zu heiß und hat die Sümpfe in der Umgebung aufgeheizt. Dadurch
ist alles hier vergiftet, Menschen und Tiere. Wir müssen uns einen neuen Ort zum
Leben suchen. Doktoren in dicken Kostümen und mit Schnabelmasken laufen überall
herum und öffnen die Pestbeulen, damit Eiter und Blut abfließen können.«
Andere
erzählten von grausamen, entsetzlichen Geschehnissen, die sich dort in den letzten
Tagen abgespielt hatten: Todgeweihte, die noch lebten, wurden ihrer Kleider und
ihres Schmuckes beraubt, vor den Blicken der Kranken wurden die Häuser geplündert,
und oft wurden die halbverwesten und stinkenden Kadaver erst nach einigen Tagen
gefunden und dann begraben.
Mütter
erschlugen ihre Kinder, damit diese nicht den qualvollen Tod sterben mussten, Männer
beerdigten sich selbst bei lebendigem Leib, um nicht vor dem Sterben bereits von
Mäusen, Ratten oder Würmern angefressen zu werden.
Die Menschen,
die sich für ihre Verwandten unter den Pestopfern noch ein Begräbnis leisten konnten,
mieteten sich spezielle Pestsärge. Diese hatten Klappen im Boden, durch die die
Leiche schnell ins Grab befördert werden konnte. Dann gab man den Sarg zurück.
Die anderen
wurden lagenweise in Löcher geworfen und mit Erde bedeckt, um gleich darauf die
nächste Lage von Toten zu werfen.
Die Straßen
waren übersät mit Leichen und boten einen grausigen Anblick. Und dies war nur ein
kleines Dorf! Was würde wohl geschehen, wenn der Schwarze Tod die größeren Orte
und Städte erreichte?
Schlimmer
wurde es noch dadurch, dass den Pestepidemien meistens Hungersnöte folgten, weil
zu wenige Menschen da waren, um die Ernten einzubringen, und die Bäcker, Metzger
und Bauern genauso starben wie alle anderen Menschen.
Etwa 20
Personen schlossen sich ihm nach und nach an und wollten mit Richtung Nürnberg oder
Regensburg gehen oder sich unterwegs ein neues Zuhause suchen.
Auf dem
Umweg um die Pestgegend sahen sie an den Mauern der Kirchhöfe und Klöster immer
häufiger die Totentänze, die ihnen eindringlich zeigten, was sie sowieso nicht vergessen
konnten: ›Memento Mori‹.
Bisweilen
sahen sie auch kleine Gruppen von Flagellanten, die, ihre Körper geißelnd, durch
die Lande zogen und so die Apokalypse abzuwenden hofften. Überall beteten die Menschen.
Mittlerweile gab es mehr als 50 verschiedene Pestheilige, die angerufen wurden,
darunter der heilige Sebastian und der heilige Rochus. Die Pest hatte sogar bereits
die Riten der Heiligen Kirche verändert.
Die Absolution
wurde nur noch
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