Der Bierzauberer
Vögel, beeindruckte ihn ein Bild des mythischen
Vogels ›Caladrius‹ sehr. Der Vogel sitzt am Bett eines Königs und entscheidet über
Genesung oder Tod, je nachdem, ob er den König ansieht oder seinen Blick abwendet.
Fortan stellte Niklas sich jedes Mal den Vogel auf seinem Bett vor, wenn er krank
war.
14
Sein Wissensdurst führte ihn auf der Suche nach Büchern
häufig ins jüdische Viertel. Dieses lag innerhalb der Straßenzüge Kleine Budengasse,
Unter Goldschmied, Obenmarspforten und Judengasse. Es war eine eigene Welt, neben
reichen Privathäusern standen dort die öffentlichen Gebäude der jüdischen Gemeinde:
Bäckerei und Badestube, Synagoge, die Mikwe – das Ritualbad der Juden –, ein Hospiz
sowie ein Hochzeits- und Spielhaus. 200 Jahre zuvor war die Synagoge bei Ausschreitungen
gegen die Juden während des ersten Kreuzzuges zerstört und die Juden vertrieben
worden. Sie waren später zurück in ihr Viertel gekommen und hatten die zerstörten
Gebäude wieder aufgebaut. Sogar die zerstörte Synagoge stand seit 1270 wieder, der
Neubau hatte einen eigenen Eingang für Frauen sowie einen neuen Keller bekommen.
Mittlerweile
war die Kölner Gemeinde in stetigem Aufschwung. Wie die christlichen profitierten
die jüdischen Kaufleute von der Bedeutung Kölns als einer der wichtigsten Handels-
und Messestädte des Reichs.
Die Aufnahme-
und Schutzgelder, die der Erzbischof forderte, waren zwar hoch, garantierten jedoch
Sicherheit, und die Kölner Juden gehörten zu den reichsten in Deutschland. Wichtig
war in diesem Zusammenhang, dass Juden als Kölner Bürger Grundbesitz erwerben durften.
Sie hatten 1266 von Erzbischof Engelbert von Falkenburg sogar das Privileg auf gerechte
Behandlung und freie, ungehinderte Benutzung ihres Friedhofes, der außerhalb der
Stadtmauern am Bonntor lag, erhalten.
Weisheit
und Gelehrsamkeit der jüdischen Alten waren weithin geschätzt, und für einen wissensdurstigen
Praxator gab es keine bessere Quelle für neue Bücher als das jüdische Viertel.
Besonders
das Geschäft eines gewissen David Rosenzweig in der Judengasse, gleich hinter dem
Rathaus, hatte es ihm angetan. Nach ein paar Besuchen grüßte man sich bereits mit
Namen und verbrachte jeweils etwas Zeit plaudernd miteinander.
Rosenzweig
hatte zwei Söhne, Mosche und Salomon, die beide sehr an Niklas’ Beruf interessiert
waren. Immer fragten sie ihn die erstaunlichsten Dinge. Wobei der elfjährige Mosche
den zwei Jahre älteren Salomon ständig zu übertrumpfen suchte.
Niklas
antwortete, so gut er konnte, und lud die Jungen ein, ihn gelegentlich einmal in
der Brauerei zu besuchen.
Der Einladung leisteten sie
gerne Folge, die Brauerei war nur zwei kleine Seitenstraßen entfernt. Im ganzen
nächsten Jahr verbrachten die beiden Jungen viel Zeit in der Brauerei und fingen
dabei an, Niklas und seinen Knechten zur Hand zu gehen. Zuerst freuten sich die
Knechte nicht besonders, weil sie sich durch die vielen Fragen in ihrer Arbeit gestört
fühlten. Sie wussten zwar, dass Juden viele eigene Regeln für ihre Speisen und Getränke
befolgten, hatten aber keine Ahnung, ob Juden Bier trinken durften.
Einer
machte mal einen Witz und sagte zu Salomon: »Unser Bier ist koscher, das kannst
du trinken. Da ist nämlich kein Schweinefleisch drin!«
Beide
Knechte lachten und machten weiter ihre derben Scherze, bis Niklas davon erfuhr
und ihnen einen anständigen Rüffel erteilte.
Von da
an waren sie freundlich zu den beiden Jungen, die ihnen auch halfen, die Wissenslücken
zu füllen.
Salomon
erzählte:
»Unser
Volk hat nach dem Auszug aus Ägypten das Wissen um die Bierbrauerei mit ins Gelobte
Land genommen. Bei unseren Vorfahren hieß Bier ›Sechar‹ und es wurde bald zum Alltagsgetränk.
Doch für die Feiertage oder zum Trankopfer schätzten sie den Wein höher ein. Insofern
waren sie wie die Kölner; sie hatten lediglich eine viel längere Biertradition.«
Und Mosche
fügte hinzu:
»Eine
Regelung ist, dass das Getreide im siebten Jahr des Anbaus nicht geerntet werden
darf. Das ist wegen dem Sabbatjahr! Das beachten nur die ganz Frommen unter uns.«
Das Einzige,
was Juden bei der Bierherstellung beachten mussten, war besondere Reinlichkeit bei
der Herstellung. Und, dass nirgendwo mit der Speckschwarte geschmiert wurde, wo
Bier hingelangte. Und kein Blut, das war in der Brauerei aber sowieso nicht üblich.
Als seine
Knechte einmal kurzfristig beide ausfielen, einer wurde krank, der andere hatte
sich bei einer
Weitere Kostenlose Bücher