Der Bierzauberer
frei!‹, sorgte für einen neuen Hunger nach Bildung und große Nachfrage nach
Büchern aller Art.
Besonders
Köln als größte Stadt Europas war für diese Entwicklung ein denkbar günstiger Ort.
Fahrende Händler brachten Bücher aus allen Teilen Europas mit. Liebevoll kolorierte
Werke, manchmal schon auseinanderfallend, manchmal nahezu unberührt. In allen Sprachen,
nicht nur in lateinischer.
Niklas
kaufte, was ihn interessierte, und verschlang die Bücher regelrecht. Aber er war
schweigsam nach außen hin und wollte sich nicht durch ungewöhnlichen Wissensdurst
bei seinen Mitbürgern verdächtig machen.
Er erstand
›De natura rerum‹ von Isidor von Sevilla, das bekannteste Unterrichtsbuch in Europa.
Er las über die Einteilung der Welt in drei Bereiche – Asien, Afrika und Europa.
Das Schaubild ›Rota terrarum‹ war die erste Landkarte, die er jemals sah. Er las,
dass alles zusammenhängt, die drei Kontinente, die vier Elemente – Feuer, Wasser,
Luft und Erde –, die vier Primärqualitäten – heiß, kalt, nass und trocken –, die
vier Jahreszeiten und die vier ›Humores‹, die Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe
und schwarze Galle.
Eigentlich
muss es einen vierten Kontinent geben, da die ganze Natur auf die Zahl Vier ausgerichtet
ist, dachte er ein ums andere Mal. Es gab vier Himmelsrichtungen, vier Hauptwinde
– Aeolus, Auster, Zephyr und Boreas. Und vier Flüsse flossen ins Paradies. Wirklich
alles basierte auf der Zahl Vier.
Er hatte
in Weihenstephan, nicht zuletzt durch das unselige Erdbeben, Erfahrungen bei der
Behandlung Kranker und Verletzter gemacht. So interessierten ihn insbesondere die
Schriften von Galen über Natur und Medizin. Galen war, wie Niklas, überzeugt von
der Viererstruktur der Natur. Galens Schriften kursierten in der Form der ›Articella‹
– kleiner, abgeschriebener Aufsätze, versehen mit Kommentaren meist arabischer Ärzte.
Niklas
überlegte, ob er das Bier dank seiner vier Rohstoffe – Wasser, Getreide, Hopfen
und Zeug –, als göttliches Getränk ansehen könnte. Er machte sich Gedanken, Bier
noch besser zum Nutzen der Menschen, vielleicht zu medizinischen Zwecken, anzuwenden,
und fragte sich, wie man die Kunst des Reinen Brauens in Form dieser Articella verbreiten
könnte.
Er versuchte
zu erfassen, wie sich das ganze Essen und Trinken der Menschen an den vier Elementen
ausrichtet, die vier Humores beeinflusst, und wie gute Speise und guter Trank dafür
sorgen, dass die vier Primärqualitäten in perfekter Harmonie zueinander stehen.
Nur dann war der Körper gesund, wenn bei diesen Qualitäten nicht eine über die andere
vorherrschte.
Während
er so lernte, wie Nahrung und Krankheit zusammenhingen, las er alles über Arzneien
und stellte fest, dass manche seiner Bierzutaten sogar Verwendung dafür fanden.
Ypocras,
auch Hippokrates genannt, empfahl zum Beispiel neben Hydromel, Oxymel und Wein ein
Getränk namens ›Ptisane‹, welches aus Gerstensaft hergestellt wurde.
Niklas
nahm sich vor, in Zukunft gelegentlich mit Arzneirezepten zu arbeiten, sobald es
seine Zeit erlauben würde. Er hatte zwar die grausigen Experimente Reginalds in
St. Gallen nicht vergessen, das waren aber keine Arzneien gewesen, ganz im Gegenteil!
Hin und
wieder wurde Hildegard von Bingen in verschiedenen Kräuterbüchern erwähnt, die bei
den Gewürzhändlern sehr begehrt und deswegen teurer waren. Sein liebstes Kräuterbuch
war das des Apuleius.
In einem
lateinischen Buch über Medizin las er eine Notiz, dass den Mitgliedern der großen
Orden seit dem vierten Laterankonzil von 1215 das Kauterisieren, Brennen und Schneiden
von Kranken verboten war. In der Praxis, wieder erinnerte er sich an das Erdbeben
von Weihenstephan und die schmerzhafte Behandlung der Schwerverletzten, wurde dies
anscheinend selten befolgt.
In einem Buch mit Handschriften
über die Sinnesorgane und die Einteilung der Gehirnregionen zu bestimmten Geisteskräften
stieß er auf den Namen Albertus Magnus, der dort seine Notizen hinterlassen hatte.
Es beeindruckte ihn sehr, wie sein großer Mentor, als den er ihn trotz des volltrunkenen
Auftritts in Regensburg betrachtete, geistigen Fähigkeiten wie Vorstellungsvermögen,
Phantasie, Gedächtnis und Urteilsfähigkeit einen exakten Platz im Gehirn zugeordnet
hatte. Er beschloss, dieses Buch besonders in Ehren zu halten.
Aber er
las auch Bücher mit Mythen und alten Geschichten. Im ›Aviarium‹, einem Werk von
Hugo von Folieto über die Bedeutung der
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