Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
ihr aus.
Nicht gespielt.
Wahrscheinlich.
»Jetzt? Ich weiß es nicht.« Sie schluchzte. »Er hat so wütend geklungen. So krank! «
»Also hat er letzte Nacht wirklich angerufen?«
»Ja! Darüber habe ich nicht gelogen.«
Mittlerweile weinte sie hemmungslos. Shaper hielt sich zurück, weigerte sich, zu ihr zu gehen. In den verschwitzten Abgründen seiner Seele wusste er, dass es der Gipfel der Heuchelei wäre, wenn er ein Urteil über sie fällte. Trotzdem gelang es ihm nicht, seinen Stolz zu überwinden.
»Ich muss nachdenken«, sagte er mit tonloser Stimme. »Du solltest dir überlegen, irgendwo hinzugehen, wo es sicherer ist.«
»Was?« Durch die Tränen hindurch runzelte sie die Stirn. »Nein … Nein, Karl würde mir niemals …«
»Ach nein?« Mit schmalen Lippen deutete er auf das Chakrendiagramm. »Ich will ehrlich sein, Mary. Ich hab nicht den geringsten Schimmer, warum sich unser Freund dieses Ding entlang hocharbeitet. Wahnsinnige sind nun mal nicht gerade für ihre logischen Motive bekannt. Ich weiß auch nicht, ob es Karl ist oder der verdammte Tommy Boyle …«
»Wer?«
»… oder wer auch immer. Aber irgendjemand tut es. Menschen sterben, Mary. Und dieser Scheißkerl sammelt dabei Körperteile.« Leidenschaftslos tippte er auf das sechste Symbol der Übersicht, ein indigoblaues Dreieck mit zwei Blütenblättern als Schwingen.
Ajna , verriet die Beschriftung. Das dritte Auge.
»Das ist deine Mutter, oder?«
»Aber … aber sie ist …«
»Ja. Ist sie. Und wer käme wohl als angemessener Ersatz infrage, hm? Wer spielt seit Jahren die verdammte Hellseherin?« Er verengte die Augen zu Schlitzen und fühlte sich grausam. »Wer hat immer in der zweiten Reihe gestanden?«
Mary glotzte ihn nur an.
Kapitel 24
Sein Gehirn schrie während des gesamten Wegs durch London wie ein Brüllaffe. Es rotierte um eine ungewisse Achse und brütete über den Details des Falls, wobei es ständig auf dem unvertrauten Knorpel emotionalen Engagements kauen musste.
Letzten Endes hatte sich Mary standhaft geweigert, die Klinik zu verlassen, hatte rundweg verleugnet, dass sie in Gefahr schweben könnte, und Shaper war ohne weitere Bekundung von Zuneigung gegangen, während sie weiter geschnieft und sich die Augen gerieben hatte.
Fast sofort hatte er es bedauert.
Shaper überlegte, was das für sie beide bedeutete, und wünschte, er wäre länger geblieben, hätte noch etwas gesagt, hätte anders gehandelt.
Gab es überhaupt ein »sie«? Würde Mary sich bei ihm melden? Sollte er sich bei ihr melden? Warum hatte …
Und so weiter.
Und ständig war da, vergraben wie ein Code in all der Verwirrung, eine tiefere Beklommenheit.
Worüber lügst du noch, Mary Devon?
Wenigstens hatte der Regen endlich aufgehört, und als Shaper bei Glass’ Haus ankam, um den alten Mann zusammen mit seinem neuen Schatten Vince – der von der nächtlichen »Patrouille« dunkle Ringe unter den Augen hatte – aufs Land zu verfrachten, stellte Shaper fest, dass er eine Art konfuses Zen erreicht hatte. Er hatte sich damit abgefunden, dass es sinnlos war, sich mit unlösbaren Ungewissheiten zu quälen.
Zum Beispiel Frauen.
Zum Beispiel Lügnern.
Zum Beispiel lügenden Frauen, Danny-Boy, für die du ja eine unglaubliche Schwäche hast.
Und dann befand sich ohnehin Glass neben ihm, herzlich, ablenkend und beruhigend exzentrisch, und plötzlich schienen all die Gefahren romantischer Turbulenzen wie weggespült. Sie verbrachten die Fahrt mit Gesprächen über tropische Fische – die, wie ihm versichert wurde, mit zeitgesteuerten elektrischen Fütterungsvorrichtungen zurückblieben –, die Seifenoper The Archers , die abführende Wirkung von Kokosnussmilch und die paradoxe Natur hehrer Wahrheit. Eigentlich verhielt es sich eher so, dass der alte Mann diese Themen erörterte, während Shaper lediglich interessierte Laute dazu von sich gab und versuchte, das beruhigende Geplapper nicht von Vinces Schnarchen ruinieren zu lassen. Glass zeigte sich ausgesprochen heiter und erwähnte eine besonders produktive Rückführung unter Marys Anleitung – »Ich war beratender Gesandter im Palast von Siddhartha Gautama!« Und er gab sich erfreut darüber, an diesem Morgen keinen Brief vorgefunden zu haben. Shaper brachte es nicht übers Herz, seine gute Laune zu trüben, und lenkte die Unterhaltung behutsam vom laufenden Fall weg.
Obwohl er seine Dosis eingeworfen hatte und – zumindest körperlich – ausgeruhter war, als er sich
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