Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
dünnes Laken schirmte Freddies Körper gegen die Kälte ab. Die unförmige Masse seiner Leibesmitte zeichnete sich aufgequollen darunter ab, und soweit man seinen Zügen Emotionen ablesen konnte, erkannte Shaper darin voller Entsetzen Spuren von Verwirrung und Angst, die in ihm einen so heftigen Beschützerinstinkt auslösten, dass es regelrecht schmerzte. In seinem gesamten Leben hatte ihm bislang nur Glass je gleichwertige Besorgnis entlockt.
Unschuld , flüsterte sein Gehirn, das zu explodieren drohte. Das ist der Geschmack der Unschuld. Und du hast zugelassen, dass sie ihm wehtut, du beschissener Versager.
Glass stöhnte wie auf ein Stichwort.
»Er braucht einen Krankenwagen«, meldete sich Mary mit brüchiger Stimme zu Wort. »Bitte.«
»Halt’s Maul«, herrschte Sandra sie an, die immer noch dem blutigen Skalp zuwisperte. »Ich bin beschäftigt.«
Vollkommen und unumkehrbar durchgeknallt.
Shapers Sinne stürmten vor, um den Eindruck zu überzeichnen, und machten sich jeden Riss in seiner Ruhe zunutze. Unter ihrem kontrollierten Äußeren manifestierten sich Sandras Pein und Scham als funkelnde Stacheln, jeder tödlich spitz zugefeilt.
All der Schaden, den sie genommen hat , dachte er, nach außen gekehrt. All ihre Wunden werden Waffen .
Sie hielt ihre grausige Beute hoch und wrang sie theatralisch wie ein nasses Flanelltuch aus. Als das Blut aufhörte, auf den Boden zu tropfen, richtete sie einen lehrmeisterhaften Blick auf ihr Publikum.
»Die Keimsilbe lautet …?«, fragte sie. »Na? Irgendjemand?«
»Wie bitte?«
Sie grinste über Shapers Ratlosigkeit und hob den Skalp an ihre Lippen.
»Ah« , flüsterte sie. »Die Keimsilbe lautet Ah .«
Die Silbe flatterte aus ihrem Mund wie ein bösartiges Insekt.
Shaper, der außerstande war, den Blick von der Vision abzuwenden, gelangte recht unverhofft zu dem Schluss, dass er genug von dem Unsinn hatte.
»Tova!«, stieß er hervor. Sandras Kopf wirbelte jäh wie der eines Vögelchens zu ihm herum. »Was ist mit Tova, Sandra?«
Sie verharrte reglos. Verengte die Augen zu Schlitzen.
»Sie behaupten, es gebe eine Methodik, aber was war dann sie , Sandra?« Shaper klammerte sich an Strohhalme und wusste es, doch der Urinstinkt, Menschen aus dem Gleichgewicht zu bringen, sie zu destabilisieren, sie zu unterminieren, trieb ihn dazu. »Ein vertretbarer Kollateralschaden, oder was? Alles, was sie getan hat, war, sich um Freddie zu kümmern. Bedeutet Ihnen das gar nichts?«
Die Frau geriet ins Wanken. Das Kraftfeld ihres Gesichtsausdrucks verschwamm, schirmte sie nunmehr hinter Scham, Schuld, Verwirrung ab, und sie entfernte sich gedankenlos einen Schritt von Vince. Sandra befand sich immer noch in Reichweite ihrer Opfer, wirkte immer noch bereit, bei Bedarf zuzustechen, dennoch schien der Griff um das Messer in ihrer Hand umso schwächer zu werden, je weiter sie zurückwich.
Mach. Weiter.
» Sie hätten Sie nicht umbringen lassen müssen, Sandra – egal, welche Aufgabe Sie erledigen. Das hätten Sie nicht tun müssen …«
Tränen tauchten in den Augen der Frau auf. Wie bei einem Kind, das sich schnell aus dem Konzept bringen und leicht brechen lässt, schien ihr gesamter Körper zu schrumpfen, und Shaper wagte es, sich einen halben Schritt vorwärtszubewegen, während sein Verstand raste.
Die weggefetzte Blusentasche …
Das Entlassungsschreiben …
Der alte Mann, der vergessen hat, seine Pflegerin rausgeworfen zu haben …
» Sie haben sie gefeuert, nicht wahr?«, sagte er. »Ich sollte nicht mitbekommen, dass Sie Tova aus dem Weg haben wollten.« Er schüttelte den Kopf. »Sie behaupten, nicht verrückt zu sein, Sandra, aber Sie haben eine unschuldige Frau wegen einer verfickten Unterschrift auf einem beschissenen Scheck umbringen lassen. Klingt das etwa rational für Sie?«
Eine Sekunde lang – nur eine einzige Sekunde lang – glaubte er, es geschafft zu haben. Das Messer sank, die Tränen schwollen in geweiteten Augen an, und Sandra schien auf Zehenspitzen zu wanken, bereit, auf die Knie zu sinken.
Dann jedoch wurde ihr Blinzeln zu einer sich langsam ausbreitenden, bitterbösen Miene. »Sie denken … Sie denken, ich hättesie deshalb aus dem Weg räumen lassen?« Ihr Griff um das Messer festigte sich, und sie legte den Kopf schief, um ihn mit einem vor Spott triefenden Lächeln zu bedenken. »Bitte.«
Kontrolle zurückerlangt.
»Ich bedaure ihren Tod.« Unbekümmert zuckte sie mit den Schultern. »Aber sie war eine Last.
Weitere Kostenlose Bücher