Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
freiwilligen Beitrag zur Erhaltung der Klinik leisten wollen – die immerhin in einem teuren Stadtteil von London liegt –, dann sage ich dazu nicht nein.« Sie schaute zu dem schlafenden Greis. »Und man kann es wohl kaum als Ausbeutung bezeichnen. Ich kann schon nachvollziehen, wie Sie darauf kommen.« Lächeln, immer lächeln . »Sie sind besorgt. Das ist wundervoll. Aber ganz ehrlich, es ist in Ordnung. Alles ist in Ordnung. Er weiß, wie wichtig es ist. Er weiß, was die Menschen brauchen .«
Shaper schenkte ihr ein ermutigendes Nicken und nützte die Gelegenheit, um auf ihre Beine zu glotzen.
»Er ist der einzige Unaufgestiegene Meister, den wir je gefunden haben«, murmelte sie vor sich hin und begann, Glass zu umsorgen. »All die Dinge, die er uns beibringen kann. All die Weisheit, die er in sich birgt.« Kunstvoll verwandelte sie das Lächeln in die glaubwürdige Traurigkeit einer Märtyrerin. »Ja, er leidet ein wenig, aber nur, weil er sich dazu entschieden hat. Er weiß, dass er sich dank meiner Gabe – die unsichtbare Wahrheit zu sehen, die Türen zur Vergangenheit zu entriegeln – an Lektionen erinnern kann, die relevant für die Gegenwart sind. Er kann der Menschheit seine Gabe schenken und uns alle zum Besseren verändern.«
Shaper grinste. Und nickte, nickte, nickte. Und sagte: »Sie sind eine außergewöhnliche Lügnerin, und Sie sollten sich was schämen, meine Liebe. Sie bescheißen einen Haufen gutgläubiger Vollpfosten, die für irgendeine bescheuerte, getürkte Bedeutung löhnen, und Sie benutzen dafür einen armen Irren in Pyjamas, der nur Stuss daherredet. Würden Sie mit mir zu Abend essen?«
Mary starrte ihn nur mit offenem Mund an.
Und auf dem Bett begann Glass zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, am ganzen Leib zu zittern. Er stöhnte so leise und sonderbar wie ächzendes Holz.
»Er braucht einen Arzt«, stieß Shaper hervor, den die Störung ärgerte, der sich dafür aber sofort schuldig fühlte.
»Nein, nein, das liegt nur an der Trance. Es ist völlig normal.«
Der alte Mann gurgelte. Ein sich ausbreitendes Zucken arbeitete sich von seinen Füßen nach oben vor, durchlief seine Brust und entlockte ihm ein weiteres tiefes, gequältes Stöhnen. Shaper hätte beinah geknurrt.
»Er hat einen verdammten Herzinfarkt oder so! Ich versteh nichts von Wiederbelebung. Verstehen Sie was von Scheißwiederbelebung?«
»Das ist normal. Es ist normal , in Ordnung?« Sie hörte sich nicht überzeugt an.
Plötzlich erstarrte Glass. Seine Augen klappten auf, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Sein Kinn zog sich zurück, sein Unterkiefer schwang auf: ein luftloser, erstickter Schrei.
»Scheiß auf normal! Er braucht einen Krankenwagen!« Shaper kramte nach seinem Telefon und konnte den Blick dabei seltsamerweise nicht von Mary lösen. Ein merkwürdiges Kaleidoskop von Emotionen lieferte ein rotierendes Wechselspiel in ihrem Gesicht: das falsche Lächeln, ein Anflug von Irritation, ein Fünkchen Panik. Immer reihum.
Mit einem Seufzen erschlaffte Glass.
Der Drehteller ihres Mienenspiels hielt mit einem Ruck inne.
»Aufhören«, rief Mary und streckte das Kinn vor. »Hören Sie auf!«
Shapers Daumen erstarrte über der 9.
»Wir rufen ihm einen Arzt, in Ordnung? In Ordnung? Es kommt nur einer dafür infrage, ein … privater Arzt. Er kennt ihn seit Jahren. Ich musste es ihm versprechen. Niemand sonst!«
Und da wusste Shaper, dass er nun die wahre Mary vor sich hatte. Ihr wahres Ich, das ruhig durch Meere von Wut watete. Noch bezaubernder als ihr geheucheltes Ich.
»Wie heißt der Arzt?«, verlangte er zu erfahren, den Finger immer noch über der Taste.
Sie stürzte zu einem Schrank und durchwühlte Unterlagen. »Ich habe seine Karte. Dr. Nashkin. Oder so ähnlich. Wo hab ich nur … Ich rufe ihn an, in Ordnung? Hier, sehen Sie, ich hab sie. Ich rufe ihn sofort an, und …«
»Nein, das lässt du schön bleiben.«
Beide erstarrten.
Vorsichtig setzte sich der alte Mann auf, blinzelte und lächelte matt.
Shaper erlangte die Fassung als Erster wieder. »Mr. Glass?«
»Es geht mir gut, es geht mir gut. Bin bloß müde. Ich brauche keinen verdammten Arzt.« Er bedachte Mary, die sich an der Visitenkarte immer noch wie an einer Rettungsleine festklammerte, mit einer wegwerfenden Geste. Sie runzelte die Stirn und legte die Karte langsam auf den Tisch. Dann schaltete sie das Lächeln ein.
Shaper verdrehte die Augen.
»Mr. Shaper!«, rief Glass plötzlich aus, und seine
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