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Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Titel: Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Spurrier
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allein ich, der ich ihn zu diesem geheimen Ort geführt hatte, in die Körperlichkeit zurück, denn mir ist nicht gestattet, aufzusteigen, bis sich der siebte Strahl auf dieser Erde festigt.«
    Die junge Frau war atemberaubend. Kompakt und geschmeidig saß sie mit langen Fingern und perfekten Ohren auf ihrem Sitzsack, die Beine untergeschlagen. Ihre nackten Füße ragten unter den Oberschenkeln hervor. Sie erinnerte Shaper an einen Panther, an ein graziles Paradoxon gerader Linien und fließender Kurven, und in seinen Augen strahlte sie eine ruppige Schönheit aus; blass und ernst, der Blick ihrer blauen Augen stechend vor Argwohn. Doch was sie so entwaffnend wirken ließ, was ihren Reiz irgendwie auf Stufen jenseits bloßer Lieblichkeit erhob, war, dass sie versuchte, jedes Anzeichen dieses sinnlichen, sexuellen Wesens vor öffentlichen Blicken zu verbergen.
    Sie trug kein schwarzes Leder – was zu ihr gepasst hätte –, sondern eine gebatikte, weite Scheußlichkeit, eine Muschelkette und geschnitzte Armreife. Ihr Haar, so dunkel, dass es beinah blau zu sein schien wie das einer Mörderin aus einem Comic, trug sie ohne jede Anmut zurückgekämmt, festgeklemmt mit bunten Spangen, die keine Chance hatten, die üppige Fülle zu bändigen. Ihre Lippen wirkten etwas zu klein für das von ihr gewählte, sentimentale Lächeln, ihre Augen etwas zu kalt für den Welpenblick guter Absichten und wässriger Freundschaft. Für Shapersverquere Wahrnehmung präsentierte sie sich als makelbehaftetes Meisterwerk, als nihilistisches Wesen schlangenartiger Verdorbenheit, verpackt in eine psychedelische Babuschkapuppe, ungeachtet dessen, dass jenes innere Geschöpf das mit Abstand interessantere der beiden darstellte.
    Für ihn jedenfalls.
    Gleich und Gleich gesellt sich gern , dachte er.
    Oder vielleicht zieht auch nur Scheiße Fliegen an.
    »Als der Geist entschwunden war«, holte ihn Glass jäh in die Realität zurück, »diente ich an seiner statt als Statthalter von Chengalaput. Das war im Jahre 1751. Seine Seele war die vierhundertzweiundvierzigste, die um meine Hilfe bei der Erreichung der Allseligkeit ersucht hatte.«
    Die Menge applaudierte höflich. Die junge Frau hörte auf, in das Notizbuch zu schreiben. Nach einem blitzschnellen Blick, um sich zu vergewissern, dass alle zusahen, schloss sie die Augen. Und begann zu wogen.
    Die Anwesenden hielten kollektiv den Atem an. Sie rollte den Körper in engen Kreisen, das Gesicht aufwärtsgeneigt, dann hob sie langsam die Arme über den Kopf. Shaper beobachtete, wie sie einer Betrunkenen gleich schwankte, und hieß das in seinen Schritt schießende Blut wie einen alten Freund willkommen.
    In der Stille stöhnte sie plötzlich laut auf, öffnete jäh die Augen und senkte ihren unheimlichen Blick auf Glass.
    Im Einklang verlagerte die Menge die Aufmerksamkeit auf sein altes, geneigtes Haupt.
    Nur Shaper starrte weiter die junge Frau an.
    »Ich sehe dich in Lumpen«, sagte sie, die Stimme schwülstig wie bei einer miesen Séance. »Du diskutierst mit einem Priester. Er weigert sich, dich zu segnen. Warum ist er so wütend auf dich, Lehrmeister?«
    Glass nickte. Ein verhaltenes Lächeln.
    »Hm«, sagte er. »Oh ja. Es fällt mir wieder ein … Ja. Eine wichtige Lektion.«
    Die Menge murmelte leise und erwartungsvoll. Die junge Frau, die nicht mehr im Mittelpunkt stand, kehrte mit zu Schlitzen verengten Augen zur Normalität zurück und hob das Notizbuch wieder auf. Sie warf Shaper einen weiteren Blick zu, immer noch lächelnd, und setzte den Stift zum Schreiben an.
    Heuchlerin! , brüllte er innerlich.
    Und wollte sie umso mehr.
    »1552«, fuhr Glass mit unverändert tonloser Stimme fort, ein runzliger Schatten inmitten des Rauchs. »Ich war in Hamburg, um den Vorsitz bei einem geheimen Seminar über die neun Phasen involutiver Transmutation zu führen. Bei der Ankunft wurde ich mit Gerüchten konfrontiert, ich sei der Ewige Jude aus der Legende. Der Bischof von Hamburg schlug mich mit einem Splitter seines hoheitlichen Zepters, und zwischen den Ständen des Rathausmarktes wurde mir von der aufgebrachten Menge aufgelauert. Erst als ich mich weigerte, Vergeltung zu üben, und stattdessen die Siddhi schilderte, durch die sich die Menschen von körperlichen Sorgen befreien können, waren sie wie gebannt und wurden sanft. Meine Lektion begann so: Um vereinigt zu werden m… m-mit …«
    Abrupt verstummte das Dröhnen.
    Shaper, der noch beschäftigt mit der Auferstehung in seinem

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