Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
Extremen aufrechterhalten hatte, dass sie pro Freier zwei Orgasmen zuließ – nicht mehr, nicht weniger –, die sie mit gespenstischer Präzision taktete. Jedes der Mädchen hatte eine eigene kleine Routine, und mittlerweile kannte er sie alle. Ruth mit ihrer postkoitalen Analyse, bei der sie dem Freier vorgaukelte: Ehrlich, das sag ich nicht oft, ich mein das echt ernst, das war toll . Oder Ksenia, die in Zungen Sprechende, deren Ekstase, wie sie ihre Kunden glauben ließ, solche Ausmaße erreichte, dass nur ihre Muttersprache sie auszudrücken vermochte. Oder Vicky, die ihre Freier geradezu darum anflehte, die Lippen auf ihren Busen zu drücken und Furzgeräusche zu blasen, woraufhin sie wie ein Güterzug abging. Im Vergleich zu den meisten anderen empfand er Melanies atemloses Zusteuern auf den Höhepunkt noch mit Abstand am angenehmsten.
» Oh Gott, oh Gott …«
Er verdrehte die Augen und verringerte erneut die Lautstärke.
Und runzelte abrupt die Stirn. Eine seiner Hände hatte zu zittern begonnen.
»Und?«, hakte Vince nach, ohne die plötzliche Angst zu bemerken, die Shaper beschlich. »Was hat die Chefin gemacht?«
»Was? Wann?«
Nicht ausgerechnet jetzt, nicht jetzt, nicht jetzt .
Wahrscheinlich, so redete er sich ein – und ignorierte dabei den trockenen Mund, die zur Faust geballte Hand, den leisen Takt, den seine Füße im Fußraum unwillkürlich klopften –, lag es nur an der Kälte. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.
Oder …
Oder eine Warnung. Ein schrille Sirene, die ankündigte, dass die Aufputschmittel ihre Wirkung verfehlten und sein Gehirn Schlagseite bekam.
Entspann dich, du Idiot …
Vince, der im Bierrausch und ungeduldig neben ihm saß, bekam natürlich nichts mit. »Sag schon«, bohrte er weiter. »Was hat sie gemacht, als die aufgehört haben, Viagra zu kaufen?«
»Ach, das meinst du.« Shaper rieb sich die Schläfen und konzentrierte sich. »Was konnte sie schon tun? Sie hat sich nach einer Alternative umgesehen.«
Beim anfänglichen Informationsgespräch hatte ihm die alte Dame taktvoll mitgeteilt, dass ihr Etablissement einen kühnen Schritt in exotischere Gefilde gewagt hatte. Sie hatte behutsam die Fühler ausgestreckt, und nach ein, zwei Monaten trafen über die zwielichtigsten Versorgungswege die ersten Lieferungen ein.
»Also was?«, beharrte Vince.
Shaper wandte den Blick ab. »Zerriebener Tigerpimmel«, murmelte er.
»Was?«
Er seufzte. »Na ja, das ist … ein traditionelles östliches Heilmittel. Die Freier können es nicht selbst besorgen, und es kostet ein verdammtes Vermögen. War ein kluger Schachzug.«
»Zerriebener Tiger… Aber … Was? «
»Ich weiß.«
»Aber das ist …«
»Ich weiß , Vince, okay? Tatsache ist, die Freier stehen wieder Schlange.« Resigniert zuckte er mit den Schultern und kam sich albern vor. »Und jetzt stiehlt jemand das Zeug. Und ich bin hier, um herauszufinden, wer.«
»Tigerschwanz«, brummte Vince, bevor er kopfschüttelnd verstummte. »Scheiße.«
Shaper musste zugeben, dass es eigenartig war.
Die Ware traf in exotischen kleinen Bechern mit aufwendiger Papierverpackung und Tintenzeichnungen von Tigern und nackten Frauen ein. Das Zeug wurde von den Mädchen selbst direkt am »Verrichtungsort« – ein weiterer Spezialausdruck von Mrs. Swanson – verteilt und strotzte geradezu vor obskuren Versprechungen. Alles ein Bestandteil des Placeboeffekts, hatte Shaper seine feste Überzeugung kundgetan. Er hatte daran gezweifelt, dass die Ware jemals weniger als tausend Kilometer an einem echten Tiger dran gewesen war.
Diese Vorstellung hatte Mrs. Swanson zunichtegemacht, als sie ihm zutiefst schuldbewusst gestanden hatte, dass sie, als »das Produkt« zu verschwinden begann, den Bestand mit einem Gemisch aus verbranntem Zucker und Mehl aufgefüllt hatte. »Wir mussten allen ihr Geld zurückerstatten«, hatte sie gemurmelt. »Keiner der armen Teufel konnte seinen Mann auch nur ansatzweise stehen.«
Mit dem echten Pulver misslang es den Freiern nie, einen Gegenwert für ihr Geld zu bekommen. Ganze Scharen schüchterner alter Männer ohne Charisma oder Selbstvertrauen erzielten dadurch nicht nur die körperliche Bereitschaft, sondern auch die rechte Gesinnung.
Es war in der Tat eigenartig.
Vince, der das breite Kinn vorstreckte, schien wenig davon zu halten.
»Deshalb sind wir hier? Um auf magische Katzenpimmel aufzupassen?« Er schniefte durch die klobigen Überreste dessen, was mal eine Nase gewesen war.
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