Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
eine zweite hinterher. Mit zugepressten Augen kauerte er sich hin. Seine Zähne mahlten wie aneinander schabende Verwerfungslinien, mit den Händen schlug er sich seitlich gegen den Schädel. Er wartete.
Nach fünf Minuten schien sich der Sturm zu legen. Der Lärm von der Tür verhallte, und die blutige Luft verblasste wie ein schlechter Spezialeffekt. Seine Hände, seine Haut, sein Fleisch: Nach und nach kehrte Leben in sie zurück. Und schließlich kroch Shaper wie ein Blinder unter Landminen zum Tisch, wo die Gabel des Telefons wartete. Seufzend legte er den Hörer darauf.
Fast sofort klingelte es erneut.
Und wenige Minuten später schon wieder.
Und wieder.
Schließlich brachte er den Mut auf abzuheben. Sein Schweiß war noch kaum getrocknet, als er unsicher krächzte: »Ja?«
»Dan? Tal hier. Hab die Adresse.«
Später, voll mit Drogen, Koffein und Essen, hielt er auf dem Weg aus der Wohnung inne.
An der Außenfläche seiner Eingangstür prangte wie ein Einschussloch in seine Seele der einzelne Abdruck einer Fingerspitze auf weißem, geruchlosem Wachs.
Kapitel 16
Karl Devons Bleibe lag wie ein Futterfisch unter einem Hai im Schatten einer Überführung. Im Vorhof, der an eine verwahrloste Terrasse grenzte, türmte sich all der modernde Auswurf einer unlängst erfolgten Umgestaltung der Innenräume. Obenauf lag ein offensichtlich erst kürzlich entferntes Schild mit der Aufschrift »Zu vermieten«. Der spärliche »Garten« hinter dem Haus welkte wohl im Schatten der Überführung vor sich hin, wenn man nach jenen Gärten ging, die am Ende der Häuserreihe zu sehen waren. Die gesamte Straße schien beklommen unter dem Gebrüll darüber hinwegdonnernder LKW zu kauern und ob des bei Verkehrsstau herabrieselnden Mülls zu schmollen.
Das Gebiet von West-London hatte sich für Shaper immer fremd angefühlt, weil es so weit vom Urgestein traditioneller Schurkerei im Osten entfernt lag. Dessen ungeachtet empfand er es als herzerfrischend, festzustellen, dass die Stadt auch an diesem Ende einige Brocken urbaner Schäbigkeit ausgerotzt hatte, um ihre Grenzen zu kennzeichnen. Hier, unter der Hauptverkehrsader M4, zwischen kahlen Bäumen und rußigen Musterbeispielen trostloser Anonymität, fühlte sich Shaper beinahe zu Hause.
Er stand an Karls Tür und überlegte. Bereits drei Mal hatte er geklopft, und es war immer noch keine Antwort erfolgt.
Zeitverschwendung .
Ein Stück die Straße hinunter bemerkte er eine kleine Eckkneipe mit abblätternder Farbe und einer halb vollständigen Sammlung zerbrochener Fensterscheiben. Am Eingang rauchte ein Grüppchen wetterfester Gäste. Solche Kneipen liebte Shaper schon aus der Ferne: Es war eines jener Lokale, die auf den scheinbar intuitiven Drang pfiffen, neue Gäste anzulocken, undstattdessen ein Flair der Feindseligkeit gegenüber allem Unbekannten bevorzugten.
Shaper wusste, dass sich in dem Pub Mistkerle aufhalten würden, die Geschichten zu erzählen hatten.
Er kramte nach den Kippen, die er unterwegs bei einer Tankstelle gekauft hatte – wenn schon, dann richtig – und überlegte, ob er in die Kneipe gehen sollte.
Eine Zigarette und ein Bier. Verfickte Normalität .
Pflichtbewusst klopfte er ein letztes Mal an Karls Tür und fragte sich dabei, warum genau er sich eigentlich die Mühe gemacht hatte herzukommen.
Offiziell – für den adrett gekleideten Buchprüfer in seiner Seele – lag es an einer einzigen beiläufigen Äußerung, die Mary an jenem Morgen im Café von sich gegeben hatte. » Tatsächlich war Karl zu Hause, als Glass zum ersten Mal an der Tür aufkreuzte. Er war an dem Tag von der Schule geflogen « , hatte sie gesagt.
Wenn das stimmte, war Karl eine der wenigen identifizierbaren Personen, die Glass schon vor dem Totalausfall der Erinnerung des alten Mannes gekannt hatten. Da zu den anderen die Tochter des Mannes, ein toter Arzt und eine betrügerische, falsche Apostelin gehörten, die Shaper geradezu verzweifelt begehrte, hoffte er, Karl würde in der Lage sein, eine objektive Meinung beizusteuern.
Außerdem hatte Mary mit jeder Erwähnung Karls an jenem Vormittag etwas in Shapers Kopf angestoßen – vielleicht den versteckten Bullen in ihm. Jedenfalls war ihm die wilde Jugend des Mannes aufgefallen, seine Gewaltbereitschaft, die Zeit im Knast …
Zugegeben, es mochte eine schwache und löchrige Spur sein, lediglich gestützt von der beunruhigenden Gewissheit, dass Mary mehr über Glass’ Fall wusste, als sie durchsickern
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