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Der blaue Express

Der blaue Express

Titel: Der blaue Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Vermögen hinterlassen, aber, wie Lady Tamplin häufig sagte, «was so dies und das angeht…» ( dies war der Wertverlust der Aktien durch den Krieg, das waren die Extravaganzen des seligen Lord Tamplin). Es ging ihr noch immer recht gut, aber recht gut war kaum zufrieden stellend für eine mit Rosalie Tamplins Temperament.
    An diesem besonderen Januarmorgen öffnete sie daher ihre blauen Augen außerordentlich weit, als sie eine gewisse Notiz in der Zeitung gelesen hatte, und äußerte dieses unverfängliche einsilbige Wort «tja». Die einzige andere Person auf dem Balkon war ihre Tochter, Lenox Tamplin. Eine Tochter wie Lenox war ein trüber Dorn in Lady Tamplins Auge, ein Mädchen ohne jedes Taktgefühl. Sie sah älter aus, als sie tatsächlich war, und ihr spezieller sardonischer Humor war, um es gelinde auszudrücken, ungemütlich.
    «Liebling», sagte Lady Tamplin, «stell dir bloß mal vor.»
    «Was gibt’s denn?»
    Lady Tamplin nahm die Daily Mail auf, gab sie ihrer Tochter und wies mit aufgeregtem Zeigefinger auf die interessante Meldung.
    Lenox las sie ohne ein Anzeichen jener Erregung, die ihre Mutter gezeigt hatte.
    «Na und?», fragte sie. «So was passiert doch dauernd. In allen Dörfern sterben doch dauernd geizige alte Frauen, die dann ihren treuen Gesellschafterinnen ein Millionenvermögen hinterlassen.»
    «Ja, Liebes, weiß ich», sagte ihre Mutter, «und ich nehme an, das Vermögen ist gar nicht so groß, wie man behauptet; Zeitungen sind so unzuverlässig. Aber selbst wenn man die Hälfte abzieht…»
    «Tja», sagte Lenox, «sie hat es nicht uns hinterlassen.»
    «Nicht direkt, Liebes», sagte Lady Tamplin, «aber dieses Mädchen, diese Katherine Grey, ist eigentlich eine Kusine von mir. Eine der Greys aus Worcestershire. Meine eigene Kusine! Stell dir das vor!»
    «Aha», sagte Lenox.
    «Und ich frage mich…», sagte ihre Mutter.
    «Was da für uns drin ist», beendete Lenox, mit dem schrägen Lächeln, das ihre Mutter immer so schwierig zu verstehen fand.
    «Ach, Liebling», sagte Lady Tamplin, mit einem Hauch von Vorwurf in der Stimme.
    Es war wirklich nur ein Hauch, denn Rosalie Tamplin war an die Offenherzigkeit ihrer Tochter und ihre ungemütliche Art, die Dinge beim Namen zu nennen, gewöhnt.
    «Ich frage mich», sagte Lady Tamplin, wobei sie wieder ihre kunstvoll nachgezeichneten Augenbrauen zusammenzog, «ob – ah, guten Morgen, Chubby, mein Lieber; gehst du Tennis spielen? Wie nett.»
    Auf diese Anrede hin lächelte Chubby ihr freundlich zu, bemerkte leichthin: «Wie blendend du in diesem pfirsichfarbenen Etwas aussiehst», und schlenderte an ihnen vorüber, die Stufen hinab.
    «Der liebe Junge», sagte Lady Tamplin; sie blickte ihrem Gatten zärtlich nach. «Aber was wollte ich eben sagen? Ah!» Sie richtete ihre Gedanken wieder auf das Geschäftliche. «Ich frage mich…»
    «Nun komm doch um Himmels willen zur Sache. Das sagst du jetzt zum dritten Mal.»
    «Tja, Liebes», sagte Lady Tamplin, «ich frage mich, ob es nicht sehr nett von mir wäre, der lieben Katherine zu schreiben und ihr vorzuschlagen, uns hier zu besuchen. Sie hat natürlich keinerlei Kontakt zur Gesellschaft. Es wäre doch viel netter für sie, von einer ihrer Verwandten eingeführt zu werden. Ein Vorteil für sie und ein Vorteil für uns.»
    «Was meinst du denn, wie viel du ihr dafür abschwatzen kannst?», fragte Lenox.
    Ihre Mutter sah sie tadelnd an und murmelte:
    «Natürlich müsste man irgendein finanzielles Arrangement treffen. Was so dies und das angeht – der Krieg – dein armer Vater…»
    «Und jetzt Chubby», sagte Lenox. «Er ist ein teurer Luxusgegenstand, wenn man so will.»
    «Soweit ich mich erinnere, war sie ein nettes Mädchen», murmelte Lady Tamplin, die ihren eigenen Gedanken nachging, «ruhig, hat sich nie vorgedrängt, keine Schönheit, und sie ist nie den Männern nachgelaufen.»
    «Sie wird also die Finger von Chubby lassen?», sagte Lenox.
    Lady Tamplin sah sie vorwurfsvoll an. «Chubby würde nie…», begann sie.
    «Nein», sagte Lenox, «das glaube ich auch nicht; er weiß doch viel zu gut, woher die Butter auf seinem Brot kommt.»
    «Liebling», sagte Lady Tamplin, «du hast so eine direkte Art, die Dinge auszudrücken.»
    «Entschuldige», sagte Lenox.
    Lady Tamplin raffte die Daily Mail, ihr Neglige, ihre Handtasche und etliche Briefe zusammen.
    «Ich werde der lieben Katherine sofort schreiben», sagte sie, «und sie an die schönen alten Zeiten in Edgeworth

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