Der blaue Mond
mehr für dich.«
Er zieht mich an sich und gibt mir einen langen, atemberaubenden Kuss. Und obwohl wir mitten unter Menschen sind, ist es so, als würde um uns herum nichts mehr existieren. Als wäre die ganze Welt auf diesen einen Punkt zusammengeschrumpft. Und als ich mich losmache, bin ich so erhitzt und so außer Atem, dass ich kaum sprechen kann.
»Wir kommen zu spät«, stoße ich schließlich hervor, nehme seine Hand und zerre ihn in Richtung Klassenzimmer.
Doch er bleibt einfach stehen. »Ich habe mir überlegt - was hältst du davon, wenn wir einfach blaumachen?«, flüstert er, die Lippen an meinen Schläfen, meiner Wange und dann an meinem Ohr. »Du weißt schon, den Rest des Tages einfach sausen lassen. Es gibt ja so viele andere, bessere Orte, wo wir sein könnten.«
Ich sehe ihn an, von seiner magnetischen Anziehungskraft beinahe umgestimmt, doch ich schüttele den Kopf und mache mich los. Ich meine, mir ist durchaus klar, dass er schon vor Hunderten von Jahren seinen Schulabschluss gemacht hat und das alles inzwischen reichlich langweilig findet. Und obwohl ich es meistens auch langweilig finde, da ich den ganzen Stoff, den sie einem beibringen wollen, auf einen Blick intus habe und die Sache damit ziemlich überflüssig wird, ist es doch immer noch eines der Dinge in meinem Leben, die mir halbwegs normal erscheinen. Und seit meinem Unfall, als ich begreifen musste, dass ich nie wieder normal sein würde, weiß ich das umso mehr zu schätzen.
»Ich dachte, du musst unter allen Umständen eine normale Fassade aufrechterhalten?«, sage ich und ziehe ihn mit, obwohl er grummelnd Widerstand leistet. »Gehört dazu nicht, in den Unterricht zu gehen und Interesse zu heucheln?«
»Aber was könnte denn normaler sein als zwei hormongesteuerte Teenager, die die Schule schwänzen und das Wochenende ein bisschen früher beginnen lassen?« Er lächelt, und die Wärme seiner schönen dunklen Augen bringt mich fast zum Nachgeben.
Doch ich schüttele erneut den Kopf, halte ihn fest und umklammere seinen Arm sogar noch fester, während ich ihn in Richtung Klassenzimmer zerre.
NEUN
Da wir die Nacht zusammen verbringen werden, folgt mir Damen nicht von der Schule nach Hause. Wir küssen uns nur kurz auf dem Parkplatz, ehe ich in mein Auto steige und zum Einkaufszentrum fahre.
Ich will mir für heute Abend etwas Besonderes kaufen - etwas Hübsches für Miles' Theaterstück und mein großes Date -, da wir alle beide in unserer ganz eigenen Premiere die Hauptrolle spielen werden. Doch ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich nicht so viel Zeit habe, wie ich dachte, und ich frage mich, ob ich Damens Vorschlag, die Schule zu schwänzen, nicht lieber hätte annehmen sollen.
Ich überlege, ob ich Haven suchen soll. Seit dieser merkwürdigen Sache mit Drina waren wir nicht mehr viel zusammen, und nachdem sie nun Josh kennen gelernt hat, hängen die beiden praktisch aneinander wie siamesische Zwillinge, obwohl er nicht einmal auf unsere Schule geht. Er hat es sogar geschafft, sie von ihrer Selbsthilfegruppensucht zu kurieren - ihrem täglichen Ritual, nach der Schule das eine oder andere kirchliche Gemeindezentrum aufzusuchen, sich mit Fruchtpunsch und Keksen vollzustopfen und dort irgendein Rührstück über die Sucht aufzutischen, die sie sich für den jeweiligen Tag ausgesucht hat.
Und bis jetzt hat es mir eigentlich gar nichts ausgemacht, sie seltener zu sehen, da sie so glücklich wirkt. Als hätte sie endlich jemanden gefunden, der sie nicht nur mag, sondern ihr auch gut tut. Aber in letzter Zeit vermisse ich sie und denke mir, dass es schön wäre, ein bisschen öfter mit ihr zusammen zu sein.
Ich sehe sie und Roman an seinen roten Oldtimer-Sportwagen gelehnt dastehen und beobachte, wie Haven ihn am Arm packt und über irgendetwas lacht, was er gesagt hat. Die Strenge ihrer engen schwarzen Jeans, des eingegangenen schwarzen Cardigans, des ärmellosen Tops mit dem Aufdruck von Fall Out Boy und der absichtlich zerzausten, schwarz gefärbten Haare mit dem knallroten Streifen wird von ihrer zart rosefarbenen Aura abgemildert, die immer breiter wird und nach allen Seiten ausgreift, bis sie beide einhüllt. Es liegt auf der Hand, dass Josh, falls Roman ihre Gefühle erwidert, bald abgelöst werden wird. Eigentlich bin ich entschlossen, der Sache Einhalt zu gebieten, ehe es zu spät ist, doch in diesem Moment dreht Roman sich um und sieht mich dermaßen durchdringend, vertraulich und voll von unbekannten
Weitere Kostenlose Bücher