Der blaue Stern
Schönheit.
»Zweifellos ist das ihre Absicht. Die Straße der Roten Laternen ist so alt wie die Stadtmauer von Freistatt. Ich kann euch versichern, daß wir schon Schlimmeres als die Höllenhunde überstanden haben.« Myrtis lächelte, als sie sich derer entsann, die vergebens versucht hatten, den Betrieb in der Straße der Roten Laternen einzustellen. »Cylene, die anderen Mädchen werden mit mir sprechen wollen. Schick sie hinauf in den Salon. Ich erwarte sie dort.«
Das smaragdgrüne Gewand wallte um ihre Beine, als Myrtis die Treppen zu ihren Gemächern hochstieg. Dort erst gestattete sie sich, ihrem Ärger Luft zu machen, während sie hin und her ging.
»Ambutta!« rief sie, und ihre junge Leibmagd kam herbeigeeilt.
»Ja, Madame?«
»Du mußt eine Botschaft für mich überbringen.« Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, und während sie schrieb, sagte sie zu dem noch atemlosen Mädchen: »Sie muß auf die gleiche Weise wie bisher übermittelt werden. Niemand darf sehen, wie du sie zurückläßt. Verstehst du das? Wenn das nicht möglich ist, dann komm damit zurück. Du darfst keineswegs auffallen.«
Das Mädchen nickte. Sie schob das gefaltete und versiegelte Pergament in das Mieder ihres alten, von einem der Mädchen abgelegten Gewandes und rannte aus dem Gemach. Mit der Zeit würde sie eine Schönheit werden, dachte Myrtis, doch jetzt war sie wirklich noch ein Kind. Die Botschaft war für Lythande, der es vorzog, wenn man nicht direkt mit ihm in Verbindung trat. Sie würde sich nicht darauf verlassen, daß der Magier das Problem mit den Höllenhunden löste, aber niemand anderer würde ihren Ärger verstehen oder mildern können.
Das Aphrodisiahaus war vorherrschend in der Straße. Die Höllenhunde würden als erstes zu ihr kommen und danach die anderen Häuser aufsuchen. Wenn die Kunde von der Steuer sich verbreitete, würden die Besitzerinnen der anderen Freudenhäuser verstohlen zum Hintereingang des Aphrodisiahauses eilen, denn sie wandten sich immer, wenn sie selbst nicht weiterwußten, ratsuchend an sie. Und nun starrte sie zum Fenster hinaus und hoffte auf eine Eingebung. Ihr war jedoch noch keine gekommen, als ihre Gäste nacheinander eintrafen.
»Es ist eine Unverschämtheit! Sie wollen uns auf die Straße jagen wie gewöhnliche Dirnen!« rief Dylan mit dem flammendroten - gefärbten - Haar empört, ehe sie sich in den Sessel setzte, den Myrtis ihr anbot.
»Unsinn, meine Teure«, sagte Myrtis ruhig. »Sie wollen uns als Sklavinnen nach Ranke schicken. Auf diese Weise ist es zum Besten von Freistatt.«
»So etwas können sie doch nicht tun!«
»Nein, aber es liegt an uns, ihnen das beizubringen.«
»Wie?«
»Warten wir erst einmal, bis auch die anderen hier sind. Ich höre Amoli bereits in der Halle. Der Rest wird nicht lange auf sich warten lassen.«
Myrtis wollte Zeit gewinnen. Außer ihrer Überzeugung, daß den Höllenhunden und ihrem Prinzen nicht gelingen konnte, was andere bisher nicht fertiggebracht hatten, hatte Myrtis nichts, womit sie dieses Problem angehen, nichts, was sie gegen die völlig unbestechlichen Soldaten unternehmen konnte. Die anderen Freudenhausbesitzerinnen unterhielten sich untereinander über das, was Myrtis zu Dylan gesagt hatte, und es gefiel ihnen gar nicht. Myrtis beobachtete ihre Spiegelbilder in dem grobgeschliffenen Glas des Fensters.
Sie waren alle schon ziemlich alt. Mehr als die Hälfte hatte einst für sie gearbeitet. Sie hatte miterlebt, wie sie auf die unschöne Art alterten, die jugendliche Reize zur Lächerlichkeit verzerrt. Dem Aussehen nach hätte Myrtis die Jüngste unter ihnen sein können - jung genug, in den Häusern zu arbeiten, statt eines zu leiten. Aber als sie sich vom Fenster wegdrehte, verrieten ihre Augen Erfahrung und Weisheit vieler Jahre.
»Nun, es kam nicht ganz überraschend«, begann sie. »Man munkelte schon davon, ehe Kittycat überhaupt eintraf, und wir haben gesehen, was mit jenen geschehen ist, auf die er die Höllenhunde hetzte. Ich gebe zu, ich hatte gehofft, einige der anderen würden etwas länger durchhalten und uns so mehr Zeit geben.«
»Zeit würde nicht helfen. Ich habe keine hundert Goldstücke, die ich ihnen geben könnte.« Die dicke weiße Schminke um die Augen der Frau, die Myrtis unterbrochen hatte, begann abzubröckeln.
»Du brauchst keine hundert Goldstücke!« fauchte eine ähnlich geschminkte Frau.
»Das Gold ist unwichtig!« Myrtis' Stimme erhob sich über das Keifen der anderen. »Wenn sie auch
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