Der blaue Stern
nur eine von uns brechen können, werden sie uns alle vertreiben.«
»Wir könnten einfach schließen, dann gäbe es sicher einen Aufruhr. Die Hälfte meiner Kunden ist aus Ranke.«
»Das ist die Hälfte aller Männer, Gelicia. Sie haben den Krieg gewonnen und sind diejenigen, die über das Geld verfügen«, entgegnete Myrtis. »Aber sie beugen sich den Höllenhunden, Kittycat und ihren Frauen. Die Männer von Ranke sind sehr ehrgeizig. Sie sind bereit, viel aufzugeben, um sich ihren Reichtum und ihre Stellung zu erhalten. Wenn der Prinz etwas gegen die Freudenhäuser hat, gerät ihre Reichstreue weniger in Gefahr, wenn wir unsere Türen schließen, ohne uns zuvor zur Wehr gesetzt zu haben.«
Unmutig pflichteten die Frauen ihr bei.
»Was sollen wir dann tun?«
»Führt eure Häuser wie immer. Sie werden als erstes die Steuern im Aphrodisiahaus eintreiben, genau, wie sie als erstes hierherkamen, um es anzukündigen. Laßt eure Hintertüren offen, dann gebe ich euch Bescheid. Wenn sie bei mir nichts holen können, werden sie euch in Ruhe lassen.«
Das folgende Gemurmel klang keineswegs einig, doch keine der Frauen wagte es, Myrtis direkt anzusehen und ihre Macht in der Straße der Roten Laternen anzuzweifeln. Myrtis in ihrem hochlehnigen Sessel lächelte zufrieden. Sie mußte zwar erst noch eine wirkungsvolle Lösung finden, aber im Augenblick genügte ihr die Tatsache, daß sich wieder einmal ihre vorrangige Stellung gegenüber den Puffmüttern hier in der Straße bestätigt hatte. Durch die Hände dieser Frauen ging ein großer Teil des Goldes in Freistatt.
Nach diesem Beschluß brachen alle sofort auf. Wenn der Betrieb wie üblich weitergehen sollte, hatten alle noch viel zu tun, Myrtis eingeschlossen. Die Höllenhunde würden sich erst nach drei Tagen blicken lassen. Während dieser Zeit würde das Aphrodisiahaus weit mehr als diese dreihundert Goldstücke einnehmen und ein bißchen weniger für die üblichen Unkosten benötigen. Myrtis öffnete ihr Geschäftsbuch und machte mit deutlicher, Bildung verratender Schrift einige Eintragungen. Alle im Haus spürten, daß der übliche Betrieb zumindest zeitweilig weitergehen würde, und einer nach dem andern meldete im Salon Einnahmen und Ausgaben.
Es war schon später Nachmittag, und Ambutta war noch immer nicht von ihrem Botengang zurückgekehrt: Sie sollte die Botschaft unter einen losen Stein in der Mauer hinter dem Ilstempel legen. Flüchtig machte Myrtis sich Sorgen um das Kind. Die Straßen von Freistatt waren nie wirklich sicher, und vielleicht fanden nicht aller Augen das Mädchen zu kindlich. Ein Risiko war unvermeidlich. Schon zweimal hatte sie Mädchen auf den Straßen verloren, und nicht einmal Lythandes Magie hatte sie wiederzufinden vermocht.
Myrtis verdrängte diese Gedanken und nahm ihr Abendessen allein in ihrem Salon ein. Sie hatte überlegt, ob Bestechung oder Sonderrechte ihr Problem mit den Steuern lösen könnten. Prinz Kadakithis war es jedoch wahrscheinlich ernst mit seinem Entschluß, Freistatt zur Idealstadt nach der Philosophie seines Beraters zu machen, da er in der Hauptstadt selbst keinen Einfluß hatte, in der es kaum besser zuging als hier. Der junge Prinz hatte eine Gemahlin und Konkubinen, mit denen er vermutlich zufrieden war. Man hatte nie mehr als einen halben Gedanken daran verschwendet, daß er selbst einmal die Freuden der Häuser suchen könnte. Und was die Höllenhunde betraf, nun, ihr erster Besuch hatte der Bekanntmachung der Steuer gegolten.
Die Leibwache des Prinzen war offenbar aus anderem Holz geschnitzt als die meisten Soldaten oder sonstigen Krieger, die man in Freistatt kannte. Wenn sie es sich recht überlegte, bezweifelte Myrtis, daß sie gekauft oder bestochen werden konnten. Und völlig überzeugt war sie, daß sie von ihrer unerbittlichen Durchsetzung von Recht und Ordnung, wie sie es sahen, nicht abzubringen sein würden, wenn nicht gleich das erste Angebot sie bekehrte.
Es dämmerte. Die Mädchen waren im ganzen Haus zu hören.
Sie lachten und kicherten, während sie sich für den Abend vorbereiteten. Myrtis behielt keine, die nicht Geschick und Freude am Gewerbe bewies. Sollten die anderen Häuser ihre Mädchen durch Armut und Suchtmittel an sich binden, nicht das Aphrodisiahaus, in dem arbeiten zu dürfen, der Wunschtraum der Mädchen auf der Straße war.
»Ich habe deine Botschaft erhalten«, ertönte eine weiche Stimme hinter dem Türvorhang in der Nähe des Bettes.
»Ich hatte mir schon Sorgen
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