Der blaue Stern
ehe ich zum Magier gemacht wurde und diesen blauen Stern trug ...«
»Und ehe ich zur Kurtisane wurde«, bestätigte Myrtis.
»Aber wenn dieses Mädchen sich durch ihre Liebe zu mir genarrt fühlt, wird diese Liebe sich in Haß verwandeln. Und ich kann niemandem die Wahrheit sagen, dem ich nicht mein Leben und meine Macht anvertrauen könnte. Nur du hast mein Vertrauen, Myrtis, unserer gemeinsamen Vergangenheit wegen, und das schließt meine Macht ein, solltest du sie je benötigen. Doch diesem Mädchen kann ich sie wahrhaftig nicht anvertrauen!«
»Aber sie schuldet dir etwas, weil du sie vor Rabben gerettet hast.«
»Ich werde mir etwas einfallen lassen«, sagte Lythande. »Bitte beeile dich und bring mir zu essen und trinken, ich bin arg hungrig und durstig.« In einem Gemach, das niemand sonst betreten durfte, aß und trank Lythande, was Myrtis eigenhändig vorsetzte, und die Kurtisane meinte: »Nie hätte ich wie du schwören können, nichts mehr vor den Augen eines Mannes zu mir zu nehmen.«
»Wenn du die Macht eines Magiers suchtest, würdest zweifellos auch du den Schwur halten«, sagte Lythande überzeugt. »Ich komme selten in Versuchung, ihn zu brechen. Ich fürchte nur manchmal, ich könnte es unbewußt tun. In einer Schenke darf ich nicht trinken, denn man kann ja nie wissen, ob unter den Dirnen nicht einer oder auch mehrere dieser merkwürdigen Männer sind, denen es ein Bedürfnis ist, sich wie eine Frau zu kleiden und als solche auszugehen. Aus diesem gleichen Grund möchte ich auch hier unter deinen Mädchen nicht essen und trinken. Alle Macht beruht auf diesem Schwur und dem Geheimnis.«
»Dann kann ich dir leider nicht helfen«, bedauerte Myrtis. »Aber du mußt ihr ja nicht die Wahrheit sagen. Behaupte, du hättest ein Keuschheitsgelübde abgelegt.«
»Das könnte ich tun.« Stirnrunzelnd beendete Lythande das Mahl.
Später wurde Bercy hereingebracht, und ihre Augen leuchteten. Sie wirkte wie verzaubert durch das feine Gewand, das gewaschene Haar, das sich weich um ihr rosiges Gesicht lockte, und den Duft von Badeöl und Parfüm, der sie umgab.
»Die Mädchen tragen hier so hübsche Gewänder, und eine erzählte mir, daß sie zweimal am Tag essen dürfen, wenn sie möchten! Glaubt Ihr, ich bin hübsch genug, daß Madame Myrtis mich hier aufnehmen würde?«
»Wenn du das möchtest? Du bist mehr als nur hübsch.«
Kühn antwortete das Mädchen. »Ich würde viel lieber Euch gehören, Magier.« Wieder schmiegte sie sich an Lythande, schlang die Arme um des Zauberers Hals und hob ihr Gesicht. Lythande berührte selten etwas Lebendes. Es war ein ungewohntes Gefühl, sie sanft in den Armen zu halten und sich die Bestürzung nicht anmerken zu lassen.
»Bercy, Kind, es ist gewiß nicht mehr als eine vorübergehende Laune.«
»Nein«, wimmerte sie. »Ich liebe dich! Ich will nur dich!«
Und dann spürte der Magier ganz unverkennbar wieder das Kribbeln, diese warnende Anspannung der Nerven, die verriet, daß Zauber gewirkt wurde. Doch nicht gegen Lythande. Dagegen hätte der Magier etwas tun können. Aber irgendwo in diesem Gemach.
Hier, im Aphrodisiahaus? Myrtis, das wußte Lythande, konnte man Leben, Ruf und sogar die Macht des blauen Sterns anvertrauen, das hatte sie oft genug bewiesen. Hätte sie sich wirklich so sehr geändert, um zur Verräterin zu werden, wäre es aus ihrer Aura zu spüren gewesen, als Lythande in ihre Nähe gekommen war.
Also blieb nur das Mädchen, das sich an Lythande klammerte und nun wimmerte: »Ich will sterben, wenn du mich nicht liebst! Ich will sterben! Sag mir, es stimmt nicht, Lythande, daß du nicht lieben kannst! Sag mir, es ist eine böse Lüge, daß Magier entmannt sind, unfähig, eine Frau zu ...«
»Das ist wahrhaftig eine böse Lüge!« unterbrach Lythande sie ernst. »Ich gebe dir meinen heiligen Eid, daß ich nicht entmannt wurde.« Doch Lythandes Nerven kribbelten bei diesen Worten. Magier mochten lügen, und die meisten taten es. Lythande log wie alle anderen, solange es niemandem weh tat. Aber das Gesetz des Blauen Sterns war so: Wurde einem eine Frage gestellt, die unmittelbar mit dem Geheimnis zusammenhing, so durfte ein Adept nicht direkt lügen. Und Bercy war, ohne es zu ahnen, nur eine Frage von der ausschlaggebenden entfernt, die das Geheimnis barg.
Mit aller Macht legte sich Lythandes Magie um den Stoff der Zeit. Das Mädchen stand reglos, war sich nicht bewußt, daß eine bestimmte Spanne verging, während Lythande weit genug von ihr
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